Viele Menschen bewegt die Suche nach den eigenen Wurzeln, nach ihrer Familie und somit auch nach der eigenen Identität. Mir geht es da nicht anders.
Wie weit können Sie eigentlich Ihre Familie zurückverfolgen? Ausprobiert habe ich das am Samstag gemeinsam mit anderen Teilnehmern des Workshops „Personen und Familien im frühen Mittelalter“, der von Professor Volkard Huth vom Institut für Personengeschichte aus Bensheim im Rahmen des Ersten Tages der Regionalgeschichte veranstaltet wurde. Und um ehrlich zu sein: den meisten von uns ist es nicht leicht gefallen, die Verzweigungen der eigenen Familie auf einem Blatt Papier festzuhalten! Bei den Großeltern oder spätestens bei den Urgroßeltern mussten wir kapitulieren.
Aber was ist, wenn man den Blick weiter zurückwirft, in eine ferne Epoche wie das Frühmittelalter, welche von unserer heutigen Lebenswirklichkeit so weit entfernt ist? Was bedeuten die Begriffe Familie oder Person in dieser Zeit? Können wir Personen und Gruppen des frühen Mittelalters näher kommen und sie vielleicht sogar in ihrer Individualität begreifen? Welche Mittel stehen uns für diese Spurensuche eigentlich zur Verfügung? Durch welche Filter müssen wir hindurch sehen, um hier weiterzukommen? Wo liegen Möglichkeiten, aber auch Grenzen unserer Neugier nach den Lebenswelten vergangener Epochen?
Schnell wurde uns klar, dass unsere Vorstellung von Familie auf das 18. Jahrhundert zurückgeht. Die familia lässt sich im frühen Mittelalter nicht auf die biologische Abstammung reduzieren, sondern umfasste einen häuslichen Verbund, einen eigenen Friedens- und Rechtsbereich. Die Individualität einer Person, die aus unserer Perspektive so wichtig ist und über die wir uns definieren, lässt sich für das frühe Mittelalter nicht denken, was mit der damaligen Gemeinschaftsbindung zusammenhängt. Genauso wenig wird es uns übrigens gelingen, den Großteil der Bevölkerung zu erfassen.
Aber die Geschichtswissenschaft hat unterschiedliche Quellengattungen fruchtbar gemacht, die uns bei der Suche weiterhelfen. Besonders interessant fand ich Herrn Huths Verweis auf die sog. Verbrüderungsbücher, bei denen es sich um Memorialquellen für das Seelenheil, um Zeugnisse des liturgischen Gedenkens handelt, die von den Klöstern untereinander ausgetauscht wurden. Hier sind sowohl Personen als auch ganze Personengruppen aufgelistet, welche auch die untere Gesellschaftsstrategie umfassen. Mitunter sind die benutzten Zettel und Rotuli chaotisch beschrieben, wollte doch jeder ein Plätzchen auf dem Pergament erhalten, um in die Fürbitte der Mönche aufgenommen zu werden. Für die Forscher von heute sind diese Quellen von großem Wert. Durch den akribischen Vergleich der Listen untereinander ist es nämlich möglich, einzelne Gruppen zu formieren.
In jüngster Zeit macht sich die Forschung übrigens noch andere Quellen und Methoden zunutze, um die Personen der Vergangenheit für uns greifbar zu machen. Interdisziplinäre Vorhaben der Geschichtswissenschaft, der Archäologie und Medizin ermöglichen dadurch neue Sichtweisen auf vergangene Epochen über DNA-Analysen und so mancher Bösewicht shakespearescher Prägung, wie in jüngster Zeit der englische König Richard III., wird für uns über seine Nachfahren wieder lebendig.
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