Neudenken + Entwerfen

Digitale Museumspraxis #5 – wir sind live!

Nach fünf Monaten mit Beiträgen zu Orga und Theorie gibt’s im Juli endlich was Praktisches zu berichten: wir haben ein neues Format ausprobiert! „ich sehe was, was du“ ist ein WhatsApp-Liveticker, der literarische Stadterkundung mit der digitalen Welt kombiniert. Das Experiment fand am 31. Juli 2016 als Teil der Stadtlabor unterwegs Sommertour statt und basierte auf dem Konzept von Lena Vöcklinghaus. Es war ein grandioses Testfeld, um Fragen zur digitalen Museumspraxis mit der Realität abzugleichen: Wo treffen sich das Museum und der digitale Flaneur? Welche technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sind zu klären? Welche Mobilisierungsmaßnahmen sind notwendig und wen erreichen wir damit? Gute 48 Stunden später haben wir einige Antworten gefunden, viele neue Fragen gesammelt und ein erstes Resümee parat…

WhatsApp ohne Drittanbieter braucht viel Arbeitseinsatz und ein bisschen Kreativität
Für unseren einmaligen Testballon haben wir keinen Drittanbieter engagiert, sondern selbst mit einem handelsüblichen WhatsApp-Profil die technische Umsetzung geleistet. Dazu braucht es nur ein mobiles und internetfähiges Endgerät auf der die App installiert wird…und viel Arbeitszeit. Im Vorfeld konnten sich interessierte Mitleser/innen per WhatsApp-Nachricht für den Liveticker bei uns anmelden. Die Betreuung und Verwaltung der Anmeldungen wurde ungefähr eine Woche vor der Veranstaltung richtig intensiv. Während die Autoren dann am 31.7. durch die Stadt spazierten und sich in einer privaten WhatsApp-Gruppe austauschten, kopierten wir ihre Nachrichten aus der Gruppe in eine Broadcast-Liste und schickten sie als Liveticker an alle Interessierten direkt weiter. Für Nicht-WhatsApp-User wurde der Autoren-Chat gleichzeitig mit Screenshots auf dem Projektblog veröffentlicht. Dank WhatsApp Web und drei menschlichen Schnittstellen mit unterschiedlichen Aufgaben (Kontaktmanagement, Blog-Screenshots und WhatsApp-Liste) beschränkte sich der technische Aufwand am Ende aufs saubere Kopieren und Einfügen.

Hohe Anmeldezahlen als Vertrauensbeweis für die Institution „Museum“?
Insgesamt haben sich 124 WhatsApp-User für den Liveticker angemeldet. Diese Teilnehmerzahl hat alle unsere Erwartungen übertroffen und die Ängste vor dem abschreckenden Anmeldungsverfahren verdrängt. Es scheint, dass die Anmeldung zu institutionellen Nachrichten-Messengern schon viel stärker im User-Alltag angekommen ist als gedacht. Die Neugier am neuen Konzept war sicher auch ausschlaggebend für den Erfolg. Die hohen Anmeldezahlen könnten aber auch als Vertrauensbeweis für die Institution „Museum“ gelesen werden: dort wo Kulturgut gesammelt wird, ist meine private Handynummer auch in sicheren Händen. Was mich direkt zum nächsten Themenfeld führt…

Double-Opt-In-und-Out aka Datenschutz
Die Sammlung der WhatsApp-Kontakte für den Liveticker muss mit dem Datenschutz abgestimmt werden. Es muss sichergestellt sein, dass die User sich selbst angemeldet haben, was mit einer Bestätigungsnachricht „start“ oder „live“ verifiziert werden kann. Und die User müssen auch wissen, mit welcher Abmeldenachricht sie den Liveticker wieder abbestellen können. An dieser Stelle merci vielmals für die proaktive Unterstützung an Angelika Schoder!

Wen haben wir erreicht?
Das Konzept hat ganz verschiedene Gruppen angesprochen: Literaturfans, Frankfurter/innen, Stadtlaborant/innen, Kolleg/innen von nah und fern. Wir haben über die verschiedenen Netzwerke der Beteiligten für den Liveticker geworben und überraschend viel „earned media“ erhalten (gibt es zum Nachlesen z.B. Hessenschau, Deutschlandfunk). Die Mobilisierungsmaßnahmen waren damit fürs Museum weniger aufwendig als anfangs antizipiert.

WhatsApp, das Museum und der digitale Flaneur
Und dann waren wir plötzlich live! Und während in meiner WG-Küche das Nachrichten-Verteilen ganz reibungslos vonstatten ging, beobachteten wir, dass die Autoren nur langsam vom Fleck kamen. Wir entdeckten auch die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen WhatsApp-Funktionen: In der Gruppe kamen die Autoren vor lauter Gespräch und Austausch kaum dazu, die Stadt zu erkunden. Und in der Broadcast-Liste kommunizierten wir mit den Usern wie in einer Einbahnstraße, so dass nur im Ausnahmefall ein Gespräch entstand. Damit erfüllten wir unser Ziel, die Stadterforschung live von zuhause aus beobachten zu können, vollkommen. Das große Interesse der Öffentlichkeit zeigt auch, dass es neben Tweetup und Instawalk ein ständiges Bedürfnis nach neuen Hybridformen der digitalen Kulturrezeption gibt. Und wir haben mit dem Liveticker erstmals die wichtige Gruppe der Messenger-User fürs Museum und die Stadtlabor unterwegs Sommertour gewinnen können. Wir sind für einige User damit sicherlich nahbarer geworden, allerdings im bequemen Konsumformat ohne besonders viel Partizipation zu ermöglichen. Alles in allem kann ich das Format für Ausnahmeveranstaltungen mit Live-Qualität und gut vernetzten Kooperationspartnern empfehlen. Aber diese Anlässe sollten in einem dialogischen Museum sorgfältig ausgewählt werden!

2 Kommentare zu “Digitale Museumspraxis #5 – wir sind live!

  1. Liebe Franziska,

    ganz großartig!! Ich finde es – auch wenn nicht so sehr das Partizipative im Vordergrund steht – ein äußerst gelungenes Konzept zur Vermittlung. Auch die Idee, Autoren einzubinden, gefällt mir außerordentlich gut!
    Toll, dass du alles hier so ausführlich auch vom Projektmanagement her beschrieben hast. Denn ich hoffe, es bleibt nicht bei einem Experiment. Eure Erfahrungen sollten andere ermutigen, dieses oder ähnliche Formate auszuprobieren. Ich denke, dass die berühmten „jungen Leute“, die die Museen ja immer so gerne erreichen wollen, hier sich deutlich eher angesprochen fühlen.

    Wie ich las, hat der beteiligte Autor sich erst an das Medium gewöhnen müssen. Das ist sicher auch noch ein Faktor, der bedacht werden muss.

    Viel Erfolg weiter und herzlichen Dank für diesen Beitrag.
    Gruß aus dem Rheinland
    Anke

    • Franziska Mucha

      Liebe Anke,

      vielen Dank für die Blumen, die ich auch gerne an alle Beteiligten weitergebe: Das Konzept wurde ja von Lena Vöcklinghaus entwickelt, wir haben tolle Rechtsberatung von Angelika Schoder bekommen, unsere international Fellow Erica de Abreu hat mit mir die Copy&Paste-Party gestemmt und die Autoren Annika Kohles und Hannes Becker haben sich in der freien Wildbahn mit ihren Handys rumgeschlagen… und natürlich haben die üblichen verdächtigen Museumskolleginnen wunderbare Kommunikationshilfe geleistet und schließlich ist das ganze nur möglich gewesen, weil wir eine so vielfältige Stadtlabor unterwegs Sommertour im Frankfurt Jetzt! Team entwickelt haben.

      Mit diesem fast schon Award-tauglichen Dankesabsatz, also auch der Verweis auf Teamwork und Vernetzung ohne die ein solches Format nicht denkbar ist.

      Beste Grüße aus Frankfurt,
      Franziska

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert