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Ein Ausflug zur Ausstellung über Rassismus im Deutschen Hygiene Museum Dresden

Aktueller könnte das Thema – und wohl auch der Ort – der Ausstellung kaum sein. Noch bis Januar 2019 zeigt das Deutsche Hygienemuseum in Dresden (DHMD) eine Ausstellung zum Thema Rassismus.

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DHMD, Copyright: David Brandt

Was gibt es dort zu sehen – und zu lernen?

Die Kolonialzeit wurde in Deutschland nur unzureichend aufgearbeitet, weshalb sich koloniale Kontinuitäten bis heute fortschreiben.

Die Ausstellung über Rassismus im DHMD zeigt, dass Rassismus als pseudowissenschaftliche Kategorie erfunden wurde, um den Kolonialismus zu rechtfertigen. Die rassistische Einteilung von Menschen in verschiedene „Rassen“, wurde durch die Vermessung und Kategorisierung menschlicher Körper (Haare, Hautfarbe und physiognomische Ausprägungen) versucht zu legitimieren.

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Hautfarbentafel-Tafel nach Prof. Dr. Felix von Luschan, Universitätsarchiv Jena, Bestand S, Abt. XLVII, Nr.84 (Foto vom 14.02.2018). Foto: Jan-Peter Kasper/FSU

Diese rassistische Ordnung ermöglichte die Degradierung von Menschen anderen Aussehens und legitimierte die Ausbeutung dieser Menschen als Sklaven_innen und Zwangsarbeiter_innen. Somit ging der Kolonialismus Hand in Hand mit dem Kapitalismus im Sinne einer Verwertung und Ausbeutung menschlicher Arbeits- und Lebenskraft einher, während zeitgleich in Europa Werte der Aufklärung propagandiert wurden. Die auf Ungleichheit und Abwertung begründeten Machtverhältnisse setzen sich über den Nationalsozialismus mit der Verfolgung der Juden und anderer Minderheiten in unterschiedlichen Formen bis in die heutige Zeit fort. In Zeiten eines neu aufkommenden Rechtsradikalismus und der stärker werdenden Angst vor dem vermeintlich Fremden ist es nicht nur der Alltagsrassismus, sondern auch strukturelle Hürden und Wiederstände mit denen People of Color, Schwarze Menschen oder Menschen mit einem zugeschriebenen Migrationshintergrund zu kämpfen haben. Dies wird in der Ausstellung anhand von Erlebnisberichten und Interviews deutlich. Auch der lange Sommer der Migration 2015 und die Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre zeigen, dass sich wirtschaftliche und politische Machtkontinuitäten – vor allem zwischen den Ländern des sogenannten Globalen Nordens und des Globalen Südens – fortschreiben. Europäischer Wohlstand ist heute immer noch untrennbar mit der Ausbeutung von Arbeitskraft und Ressourcen (Ausbeutung von Rohstoffen, Herstellung von Kleidung und Technik, Nahrungsmitteln, Müllentsorgung etc.) im Globalen Süden verbunden. Die Ausstellung des DHMD zeigt, wie Rassismus auf drei Kategorien begründet ist: nämlich Macht (wirtschaftliche und politische), Wissen (Sprache – wer bestimmt den Diskurs und wie?) sowie Körper (Ausbeutung, Gewalt, Exotisierung, Erotisierung und Zuschreibungen).

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DHMD, Copyright: David Brandt

Ein Museum reflektiert seine eigene Geschichte.

In der Ausstellung des DHMD gibt es Körpervermessungsgeräte, tabellarische Listen und Objektsammlungen zu rassistischen Theorien, Interviews zu Alltagsrassismus, Filmausschnitte aus „Die Arier“ von der Regisseurin Mo Asumang oder auch „entartete“ Kunst aus dem Nationalsozialismus zu sehen.

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DHMD, Copyright: David Brandt

Das Museum präsentiert hier unverblümt neben Objekten aus der eigenen antisemitischen Geschichte auch Gegenstände aus der eigenen rassistischen und kolonialen Vergangenheit. Dies ist wichtig und zeitgemäß, auch wenn der kuratorische Ansatz hier die Fortschreibung eurozentrischer Wissensproduktion weitgehend nicht durchbricht. So kritisierten Prof. Dr. Fatima El-Tayeb (Literatur und Ethnic Studies, University of California, San Diego) und andere deutsche Wissenschaftlicher_innen of Color im Rahmen einer an die Ausstellung anschließenden Diskussion beispielsweise, dass keine Expertinnen, die selbst von Rassismus betroffen sind, in die Kuration der Ausstellung einbezogen wurden. Es handelt sich demnach um eine Ausstellung, die erneut aus der Sicht weißer Menschen entstanden ist und in der betroffene Wissenschaftler_innen oder Aktivist_innen erst gegen Ende der Kurationsphase zu einer inhaltlichen Intervention eingeladen wurden.

Interventionen als Möglichkeit, eine Ausstellung zu kommentieren.

Mit Objektinterventionen und Kommentierungen auf gelben Schildern wird die Ausstellung von einer Gruppe Schwarzer Expert_innen, Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen of Color kritisch kommentiert. Beispielsweise wird die lebensgroße, nackte Figur einer „Polynesierin“ aus der Kolonialausstellung des DHMD von 1939 hinter einem Leinenschleier verborgen und mit der Projektion eines Gedichts von Dr. Natasha A. Kelly (Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin, Forschungsschwerpunkten Kolonialismus und Feminismus) über den Schmerz der körperlichen Ausbeutung überblendet. Die Betrachter_ innen sind somit gezwungen, sich mit den Folgen und Auswirkungen von exotisierender und erotisierender Zuschreibungen auf weibliche Schwarze Körper auseinanderzusetzen. So wird die Reproduktion der rassistischen Handlung des Ausstellens von Menschen thematisiert und die damit verbundene, auf Machtungleichheit basierende Gewalthandlung gegen Schwarze Frauen sichtbar gemacht. Wer möchte, darf in der Ausstellung auch einmal (abgeschnittenes) Schwarzes Haar in der Form von Dreadlocks anfassen und seine_ihre Neugierde auf das vermeintlich Fremde befriedigen. Durch die das Haar umgebenden Spiegel ertappen sich die Taster_innen allerdings dabei selber. Deutlich wird mit diesen Interventionen, dass Rassismus häufig versteckt und ansozialisiert ist. Er zeigt sich sowohl in stereotypen Zuschreibungen als auch in den Ängsten vor oder der Faszination von dem vermeintlich „Fremden“ oder „Anderen“. Aber auch in der Sprache werden koloniale Kontinuitäten sichtbar, zum Beispiel in der Verwendung von diskriminierenden Begriffen in Kinderbüchern, Wissenskontexten oder Sprichwörtern wie dem „…schwarzen Peter…“. Dr. Natasha A. Kelly spricht davon, dass Rassismus nicht automatisch verschwindet, wenn wir diskriminierende Begriffe oder Kategorisierungen aus dem allgemeinen Wortschatz streichen. Dennoch sollte Sprache auf ihren Inhalt geprüft und rassistische Begriffe aus dem Wortschatz gestrichen werden müssen. Denn alle Menschen und vor allem Kinder (Schwarze und weiße) haben ein Recht auf eine diskriminierungsfreie Bildung, Identitätsentwicklung und auf gesellschaftlichen Schutz. Aus dieser Perspektive braucht es an dieser Stelle keine Debatte um vermeintliche Political Correctness, sondern nur ein Blick auf die vom Rassismus Betroffenen, die es davor zu schützen gilt.

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April 1996
Agentur: Saatchi & Saatchi London
Creative Director: Adam Kean
Copywriter: Ben Nott & Adam Hunt
Art Director: Adam Hunt & Ben Nott
Photographer: Nadav Kander
Typographer: Adam Hunt
© Equality and Human Rights Commission (EHRC)/Foto: Ben Nott

Das DHMD hebt mit dieser Ausstellung das Thema Rassismus in das mehrheitsgesellschaftliche Bewusstsein und erneut in den Diskurs der deutschen Museumslandschaft. Folglich steht als nächster Schritt für Kulturinstitutionen an, auch die eigenen Strukturen auf darin enthaltene koloniale Fortschreibung oder rassistische Sprache kritisch zu reflektieren, um zu einem diskriminierungsfreien Ort zu werden, indem alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichwertig repräsentiert werden.

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