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Forschen mit Vielen – Die Stadtlabor Methode

Im Rahmen meiner Forschungsarbeit zu Crowd- und Community-sourcing im Museum schreibe ich gemeinsam mit Kristin Oswald an einem Publikationsbeitrag. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen partizipativer Museumsarbeit bot einen wunderbaren Anlass, um mit Angela Jannelli und Susanne Gesser das Stadtlabor und die damit gemachten Erfahrungen zu reflektieren. Einzelne Auszüge des Gesprächs werden in die Publikation einfließen. Hier gibt es vorab das ganze Interview für alle, die gerne mal wieder vom Stadtlabor lesen möchten.

Franziska Mucha: Seit wann gibt es das Stadtlabor, was verbirgt sich hinter dem Begriff und wie funktioniert das Stadtlabor?

Angela Jannelli: Das Stadtlabor ist ein Gegenwarts-orientiertes und partizipatives Ausstellungs- und Veranstaltungsformat des Historischen Museums Frankfurt.

Susanne Gesser: Angefangen haben wir mit dem Stadtlabor 2010 bevor wir die Neukonzeption des Museums fertig hatten, um auszuprobieren, ob das, was wir uns da ausdenken überhaupt funktioniert; um Methoden zu entwickeln, Partner zu finden und Formate auszuprobieren. ­­

Angela Jannelli: Ich würde auch sagen, dass wir da Pionierarbeit geleistet haben und ich bin jetzt an einem Punkt, wo ich denke, wir sollten das eigentlich dringend evaluieren, weil es für mich immer deutlicher wird: Es ist eine ganz spezielle Form der Museumsarbeit, die eigentlich eher eine emotionale Arbeit ist, wenn man wirklich mit Partizipienten arbeitet. Und das ist etwas, was überhaupt nicht evaluiert ist.

Susanne Gesser: Und die Arbeit des Stadtlabors ist eine Schnittstelle, die zwischen dem Kuratieren von Ausstellungen, Inhalten und der Museumsarbeit partizipativ vermittelt.

Angela Jannelli: Was die Inhalte angeht, ist das ein Forschen mit Vielen: Es geht darum, Wissen zu generieren und zwar auch eine andere Form von Wissen, die bisher in Museen unterrepräsentiert war. Das heißt, dafür auch Methoden zu finden, wie dieses Wissen überhaupt auch „tangible“ wird, also wie es in objekthafte Inszenierungen übersetzt werden kann, um dann auch diskutierbar zu werden.

Susanne Gesser: Und solche Methoden entwickeln sich auch immer weiter: angefangen mit partizipativen Ausstellungen im Stadtteil und einer Sommertour, über ein Stadtmodell, das in Partizipation mit der Stadtbevölkerung erarbeitet wurde, bis hin zur partizipativen Befragung der Sammlungspraxis. Und so gibt es immer wieder neue Felder der Museumsarbeit, die wir mit unserer Stadtlabor-Methode bearbeiten und damit auch das Stadtlabor weiterentwickeln. Und ich fände es großartig, wenn wir es irgendwann mal schaffenein Handbuch Stadtlabor zu verfassen.

Franziska Mucha: Was wären denn die praktischen Tipps oder Methoden, die ihr in einem Stadtlabor-Handbuch geben würdet?

Susanne Gesser: Ich würde denken, dass wir die Methoden und Abläufe, die erfolgreich sind, beschreiben. Es gibt ja für jede Projekt-Stufe einzelne Methoden: wie ich die Leute gewinne, wie ich sie darauf einstimme jetzt an so einem Prozess teilzunehmen, bis hin zu der kuratorischen Beratung. Diese ganzen einzelnen Schritte würde ich mit detaillierten Informationen beschreiben, beispielsweise wie funktioniert ein World Café und was für Fragen sind dafür geeignet oder wie eine Pop-up-Ausstellung funktioniert oder die Sammlungscheck-Sachen…

Angela Jannelli: Wobei ich da als Präambel davorsetzen würde: Sei ein guter Gastgeber…

Susanne Gesser: …ja, dass immer Kekse da sein müssen [lacht]…

Angela Jannelli: …genau, das wäre eigentlich die Grundvoraussetzung, dass man auch wirklich ein Interesse daran hat, und nicht nur Partizipation macht, wie man Gymnastik macht, weil es irgendwie zum Kanon dazugehört. Wenn du nichts wissen willst von den Leuten, wenn es dich nicht wirklich interessiert, dann lass es bleiben.

Susanne Gesser: Ja, wir haben uns da mit Haut und Haaren reingestürzt und darauf eingelassen. Wir leben dafür und das ist die Kultur des Hauses. Es ist ja nicht nur ein Ding von Angela und mir, sondern das lebt dadurch, dass es breit im Haus verankert ist.

Franziska Mucha: Was hat sich in den neun Jahren im Haus verändert?

Susanne Gesser: Alles.

Angela Jannelli: Die Haltung gegenüber Partizipation hat sich verändert. Wir werden jetzt auch für neue Sonderausstellungs-Projekte dazu gebeten, unser Know-How wird da auch gerne genutzt. Sei es, in Fragen, wie sich das Stadtlabor an Ausstellungen andocken kann oder andersherum, wie partizipative Elemente in Ausstellungen integriert werden können.

Susanne Gesser: Es gibt sogar einige Kolleg*innen, die waren anfangs ausgenommen skeptisch und machen mitterweile selbst partizipative Projekte. Durch den Neubau und die Neukonzeption hat sich sowieso im Haus alles geändert. Aber die Haltung hat sich auch dadurch geändert, dass wir das Stadtlabor so lange und kontinuierlich machen.

Angela Jannelli: Und, ich finde wir haben ein ungeheuer gutes und tragfähiges Netzwerk entwickelt, so dass man echt das Gefühl hat, hier so eingewurzelt zu sein. Das ist ganz schön.

Franziska Mucha: Könnt ihr daraus ableiten, warum eine Partizipations-Orientierung für Museen generell wichtig sein kann?

Angela Jannelli: Wir möchten ein für möglichst viele Menschen relevantes Museum werden. Dieser Satz, den Herr Gerchow auch mit der Neukonzeption immer wieder äußert, ist mein Leitstern beim Projekte machen. Es geht um Relevanz.

Susanne Gesser: Es ist wichtig, dass eine Kulturinstitution, die von den Steuergeldern finanziert und getragen ist, auch ein Ort ist, den man mitgestalten kann. Es ist die Einladung an die Stadtbevölkerung ihren Kulturort aktiv mitzugestalten, und nicht nur zu konsumieren, sondern tatsächlich partizipativ dabei zu sein. Und für uns ist es wichtig bei „Frankfurt jetzt!“ mit der Expertise der Frankfurter*innen, der Stadtbevölkerung, zu arbeiten. Wir wollten von Anfang an keine Meistererzählung zur Gegenwart und Zukunft der Stadt machen, die von einem oder zwei Kuratoren gestrickt ist, sondern alle Bewohner*innen einladen daran mitzuarbeiten.

Franziska Mucha: Warum habt ihr euch dafür entschieden und nicht für eine andere Form der Partizipation, die einfacher zu „managen“ gewesen wäre?

Susanne Gesser: Weil’s langweilig gewesen wäre. [lacht] Nein, das machen wir ja auch. Wir arbeiten ja mit allen Methoden der Partizipation. Und da gibt es dann auch mal eine Post-its Wand, die im Übrigen gut angenommen wird und nicht nur eine Alibifunktion hat. Wichtig ist, dass wir Zeit und Energie reinstecken und uns ernsthaft damit auseinandersetzen.

Franziska Mucha: Was ist denn ein gutes oder ein erfolgreiches Projekt?

Angela Jannelli: Ein erfolgreiches partizipatives Projekt ist ein Projekt an dem alle am Ende das Gefühl haben, etwas Neues erfahren zu haben und neue Erfahrungen gemacht zu haben, sei es in Bezug auf Wissen, also neue Dinge erfahren zu haben, oder auch im Sinne von Erlebnis: eine neue Lebenswelt kennengelernt zu haben oder – was für die Stadtlaborant*innen oft der Fall ist – zu wissen, wie Museum funktioniert. Und natürlich auch für die, die dieses Projekt einfach nur angucken oder die Ergebnisse, dass die auch das Gefühl bekommen, einen echten Mehrwert zu haben. „Man geht gewitzter aus dem Museum heraus als man hineingegangen ist.“, ich glaube Walter Benjamin hat das gesagt. Das mit dem Gewitzten finde ich ganz schön. Es muss nicht klüger sein, es muss nicht weiser sein, sondern gewitzter.

Susanne Gesser: Für mich ist es ganz wichtig, dass es wirklich echt ist. Ein gutes Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass man involviert ist und tatsächlich nicht nur eine Werbeveranstaltung macht, wo es nachher schöne Bilder gibt. Sondern, dass man da mit echtem Interesse und mit echten Themen, mit echten Personen ins Gespräch kommt, mal diskutiert und auch mal streitet und sich auseinandersetzt, aber eben, vielleicht etwas mitnimmt und sich verändert.

Angela Jannelli: Ja, ich denke auch, dass sich so gewissermaßen neue Synapsen bilden und man dadurch die Welt ein kleines bisschen anders sieht.

Franziska Mucha: Und das Wissen, was im Stadtlabor auf eine besondere Art und Weise, eben mit vielen, generiert wird. Was passiert mit diesem Wissen? Wird das irgendwie in das Museum oder in das kollektive Gedächtnis eingespeist?

Angela Jannelli: Wir haben ja die Dokumentationen, da wird das zumindest festgehalten und das ist wichtig. Aber ansonsten finde ich es auch ganz schön, dass es temporäre Projekte sind, die ein paar Monate stehen und solange sichtbar sind. Dann gibt es ja das Stadtlabor Digital, wo eine dauerhafte Präsenz im digitalen Raum möglich oder vorgesehen ist…

Susanne Gesser: …und das Archiv der Projekte, in dem die Dokumentation dauerhaft zugänglich sind.

Franziska Mucha: Ihr habt darüber gesprochen, dass sich die Museumsarbeit dadurch verändert, dass man andere Aufgaben hat und andere Herausforderungen. Könnt ihr die noch einmal zusammenfassen? Welche Fähigkeiten, welche neuen Museumsrollen braucht es, um Partizipations-orientiert zu arbeiten?

Susanne Gesser: Ich denke, man muss bereit sein, auch außerhalb der Büro-Arbeitszeiten ansprechbar zu sein und Workshops zu machen, am Abend, am Wochenende. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung und zwar nicht nur einmal, sondern dauerhaft. Es ist ganz gut, kommunikative Fähigkeiten zu haben, auch Moderations-Techniken zu kennen, bis hin zu Großgruppen-Methoden, einfach zu wissen, wie läuft sowas ab – auch mal Ärger auszuhalten oder so mediativ eingreifen zu können oder Fähigkeiten und Techniken zu kennen, um zu wissen, wie man damit umgeht, wenn sich einer total aufregt oder aufwiegelt.

Angela Jannelli: Eine angenehme oder einladende Atmosphäre herzustellen, finde ich immer wichtiger. Das wird oft auch unter „moderieren“ subsumiert. Aber für eine angenehme Atmosphäre zu sorgen, in der die Leute sich wohlfühlen und angstfrei äußern können oder auch einfach ihre Gedanken spinnen können, das ist sehr wichtig.

Susanne Gesser: Neben diesen Fähigkeiten gehört auch die Organisation dazu: Angela spricht immer davon, dass wir fast so ein kleiner Festivalbetrieb sind. Da wir ja auch oft unterwegs sind und nicht immer nur im Haus in einem festen Raum arbeiten, sondern auch mal in der Stadt, muss man wirklich gut strukturiert und organisiert sein.

Angela Jannelli: Und man sollte ein bisschen Ahnung von Prozessen haben: zu wissen, dass die dritte Phase immer der Konflikt ist, schützt vor Verunsicherung. Und mir hilft auch mein Kulturanthropologie-Background mit qualitativer Sozialforschung und der Kenntnis von Interview-Techniken, um beispielsweise zu wissen, welche Fragen man stellen muss, um nicht nur ein „Ja“ zu kriegen.

Franziska Mucha: Co-Creation ist ja im partizipativen Spektrum die Form, die am meisten Mitgestaltung ermöglicht. Habt ihr manchmal das Gefühl, dass die Leute etwas anderes erwarten oder gerne mehr mitgestalten würden als ihr ihnen Gestaltungsspielraum einräumt?

Angela Jannelli: Ich glaube im Gegenteil, dass es einen klaren Rahmen braucht, denn er gibt auch Sicherheit. Nina Simon formulierte es so: Participation needs scaffolding. Zu offen darf ein Projekt nicht sein. Sonst kann sich keiner „einklinken“. Wir vermitteln ja am Anfang immer ganz genau, dass wir das Projekt zusammen machen und auch die Themen zusammen generieren, bzw. oft nehmen wir ein Thema auf, das auch irgendwo anders schon formuliert worden ist. Ich habe den Eindruck, dass die Spielregeln relativ klar sind und ich fände es schein-partizipativ zu sagen: Wir sind hier alle gleich. Das sind wir nämlich nicht, wir sind die Gastgeber. Und ein guter Gastgeber will auch, dass die Gäste sich wohlfühlen und einen guten Abend haben, interessante Gespräche führen, dass es alles anregend ist. Also ich finde, dass man diesen Rahmen sehr, sehr deutlich setzen muss. Ansonsten wird es in meinen Augen recht beliebig.

Susanne Gesser: Wir sind ja auch nicht nur Facility-Manager – wir stellen nicht einfach den Raum zur Verfügung und sagen: Kommt alle und macht was ihr wollt. Und die Stadtlaborant*innen haben auch unterschiedliche Bedürfnisse, was den Grad der Mitgestaltung angeht.

Franziska Mucha: Also, ich wäre jetzt mit meinen Fragen am Ende. Habt ihr noch irgendwas, was ihr unbedingt loswerden wollt?

Angela Jannelli: Also insgesamt ist ein Museum ein Supertanker, der einen Wendekreis oder einen Bremsweg von mehreren Kilometern hat. Ich meine, manche Dinge brauchen einfach auch Zeit, gerade die Partizipation ist eine Beziehungsarbeit und es muss alles wachsen und entstehen, so wie auch Freundschaften entstehen. Also da jetzt alles so auf schnell, schnell und Effekt und Effizienz zu trimmen, finde ich in dem Bereich den falschen Weg.

Susanne Gesser: Es ist zwar sehr anstrengend und es ist keine Arbeitserleichterung (das haben wir ja anfänglich auch oft gehört: naja, ihr macht das, damit ihr Geld sparen könnt und billige Arbeitskräfte habt) das ist ein Trugschluss, das stimmt überhaupt nicht. Aber ich würde das trotzdem immer wieder machen. Ich finde es ist absolut sinnvoll und es tut, glaube ich, dem Museum und der Institution gut.

Angela Jannelli: Es muss nur unbedingt personell besser ausgestattet werden.

Susanne Gesser: Klar, wir könnten gut eine Abteilung von 20 Leuten sein, nur fürs Stadtlabor… okay, das wäre vielleicht ein bisschen viel…

Angela Jannelli: …aber vielleicht drei, vier…

Susanne Gesser: …fünf…

Franziska Mucha: …so, eine Handvoll?

Angela Jannelli: Zwei wären schon mal super.

Franziska Mucha: Super, habe ich festgehalten und vielen, vielen Dank euch für das Gespräch.

menschen stehe in Sommerkleidung um das Lastenfahrrad des Museums

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