Sammeln + Pflegen

Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit…

…ist gar nichts mehr sicher! Mit Fadenzählern hocken wir tief gebeugt über verschiedenartig bedruckten Papieren – bitte wählen Sie – Kupferstich, Lithographie, Heliogravür? Everything is possible, gewiss, es gibt typologische Merkmale, die so schöne Namen wie Quetschrand und Plattenton tragen, allein die Unsicherheit bleibt bestehen, ja wird sogar zum ersten Lehrsatz des Morgens: „Seien sie erstmal skeptisch“ – „Nichts ist wie es scheint“, würde Morpheus im Baudrillard-Blockbuster der Nuller Jahre sagen. Unser Desillusionator interessiert sich weniger für die Zukunft, eine Koryphäe ist er trotzdem. Als Steindruckermeister beschäftigt sich Hans Ulrich mit der Entwicklung, Spezialisierung, Fälschung und Erkennung der Druck- und Reproduktionstechniken der letzten 600 Jahre. Zwei Tage lang versucht er einer kleiner Gruppe Auserwählter im Historischen Museum Frankfurt wortwörtlich die Augen zu öffnen. Und obwohl wir brav chronologisch vorgehen, könnte die Weisung auch sein: Follow the White Rabbit, der Weg: ein Labyrinth!

Von Hochdruck (grobkantig Holzgeschnitztes, punktuierte Holzstiche) über den qualitativ wertigeren Tiefdruck (scharf gestochenes Kupfer, augefranst weiche Radierungen, stahlharte Kälte, Aquatinta-Würmchen) und dann – Obacht – der fiese Flachdruck, Meister aller Fakes (lipophile Lithographie). Ein bisschen Magie ist auch dabei – ein, zwei, drei, Steindruck herbei, o.Ä. in der kleinsten Sofort-Steindruck-Werkstatt erleben wir das Wunder der Chemie neu, Heureka! Mit ein bisschen fetthaltiger Kreide, Gummi Arabicum, Schwämmchen, Stein und Druckfarbe beobachten wir welche immensen Vorteile dieses Zeichnungs- und Vervielfältungsverfahren der druckenden Menschheit brachte (fast wiegt das auch die stilistische Imitationsfreude der Lithographen auf, die uns der Druckprofi übrigens als logische Konsequenz neutralisierend zu vermitteln sucht: „Das waren halt Kupferstecher, die haben natürlich ihren gelernten Stil nicht geändert.“

Und damit nicht genug, nachdem wir die Ära der französischen Plakatdrucker also mit glänzenden Augen ad acta gelegt haben, folgt die Industrialisierung, quasi deep impact. Der zweite Tag führt uns in das diverse Feld fotomechanischer Mischtechniken, die dem bemühten Auge nicht nur erhabene Farbigkeit stolz entgegen strecken, sondern mit chemischen Prozessen und Negativen den Kopierprozess um einige Stufen weiterentwickeln. Die Neuerungen bringen verschiedene Farben, Größen und Raster – und natürlich den Vorteil fotografische Abbildungen zu reproduzieren – mit sich. Klischee bekommt als Rasterabdruck eine ganz neue Bedeutung, die Heliogravür wird endlich in die richtige Schublade gesteckt (Aquatinta, deren Ätztiefe durch ein fotografisches Verfahren bestimmt wird) und das Rembrandtintaglio wird als Rakeltiefdruck enttarnt. Das Phänomen des akustischen Verständnis ist zumindest ein weiteres Mal bewiesen, munter reihe ich Fachbegriff an Floskel, bis zum nächsten Inventarisierungsauftrag…

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