Gestern Abend fand im Rahmen der Bibliothek der Alten ein sehr beeindruckendes Gespräch zwischen drei Männern statt, die über ihre Jugend in der Zeit der Nazi-Herrschaft gesprochen haben. Beim Gespräch wurde deutlich, wie unterschiedlich die jungen Männer die damalige Zeit wahrgenommen haben und welche Auswirkungen das Erlebte auf ihr Leben nach dem Krieg hatte. Alle drei sind seit 2000 Autoren der Bibliothek der Alten und gehören damit zu den Autoren der ersten Stunde in diesem von Sigrid Sigurdsson initiierten künstlerischen Erinnerungsprojekt.
Herbert „Berry“ Westenburger wurde 1920 geboren. Seine Jugenderinnerungen sind in erster Linie vom „Nerother Wandervogel“ bestimmt, zu dem er mit 12 Jahren stieß. Die „bündische Jugend“ verweigerte sich der im Nationalsozialismus verordneten Gleichschaltung, die Gruppe bestand weiter im Untergrund. 1938 wurde Berry Westenburger dann wegen illegaler Betätigung verhaftet und sieben Monate im Klapperfeld-Gefängnis von der Gestapo festgehalten. Mit Kriegsbeginn wurde er sofort eingezogen. Er berichtete eindrucksvoll davon, wie wichtig für ihn der Zusammenhalt der Gruppe und ihr Credo der bündischen Jugend „Wir pfeifen auf den ganzen Schwindel“, in seiner Integrität stärkte. Nach dem Krieg engagierte er sich sofort für den Wiederaufbau der bündischen Jugend in Hessen – obwohl ihm, dem Sohn aus gutbürgerlichem Hause, nichts geblieben war. Seine Mutter war als „Halbjüdin“ ermordert worden, das elterliche Wohnhaus war von den Amerikanern besetzt und im Landhaus der Familie hatte sich ein Nazi-General einquartiert, der sich weigerte auszuziehen. Berry Westenburger hat die 12 Jahre der Nazidaktur ausführlich in seinem Buch beschrieben.
Ganz anders die Erlebnisse von Bernhard Schanz, der im Jungvolk eine glänzende Karriere gemacht hat, vom Pimpf bis zum Gebietsführer. Bernhard Schanz berichtete von der Attraktivität der Uniform, dem ausgeklügelten hierarchischen System, das sich in Dienstgraden und Rangabzeichen ausdrückte, darin, wer wen zu grüßen hatte, wer wem gegenüber Respekt zu erweisen hatte. Ihm hatte das Jungvolk zahlreiche Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildungn geboten und so den Wunsch nach Distinktion und dem Hocharbeiten in der Hierarchie erfüllt. Nach dem Krieg stieg er in das elterliche Unternehmen ein, das er viele Jahre lang führte. Bekannt ist Herr Schanz wohl vielen durch seine Aktivitäten für das Kuratorium Kulturelles Frankfurt, wo er zahlreiche Veranstaltungen organisierte.
Der dritte Gesprächspartner Kurt Schäfer ist in einem nazikritischen Elternhaus aufgewachsen. Auch er war wie viele seiner Altergenossen in der Hitlerjugend. Seine Eltern sorgten allerdings dafür, dass sein Engagement nicht über einen bestimmten Punkt hinausging. Auf diese Weise bewahrte er sich eine kritische Distanz zum Regime und entwickelte ein feines Gespür dafür, wem er vertrauen konnte und wem nicht. Herr Schäfer erzählte eindrücklich von seinen Kriegserlebnissen und davon, wie sie sich auf sein Leben in der Nachkriegszeit auswirkten. Nach dem Krieg musste der 22jährige zunächst das Abitur nachholen, bevor er zum Studium der Pädagogik zugelassen wurde. Der Nationalsozialismus beschäftigte ihn während seines gesamten Berufslebens und er entwickelte eine Didaktik für den Umgang mit der Zeit der NS-Diktatur im Geschichtsunterricht.
Der Abend wurde moderiert von Wolf von Wolzogen, dem langjährigen Leiter der Bibliothek der Alten. Er hat es geschafft, an diesem Abend drei Herren mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen eine Plattform zu schaffen, auf der jeder seine Persönlichkeit entfalten konnte.
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