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Lebenshilfe durch das Museum

Blick in die Ausstellung mit Schrank „Frankfurter Ecknasenschrank“: Immer wenn ich dieses imposante Stück in der Dauerausstellung Frankfurt Einst? betrachte, fällt mir eine Episode aus meiner früheren beruflichen Tätigkeit in einer Frankfurter Bank ein. Ich war viele Jahre für die Öffentlichkeitsarbeit und damit auch für die Redaktion und die Gestaltung des Geschäftsberichts dieses Instituts zuständig. Damit werden die Aktionäre von Aktiengesellschaften jährlich über den Geschäftsverlauf  und die Ergebnisse der Gesellschaft unterrichtet. Um den etwas trögen Zahlenfriedhof und die nicht gerade prickelnden Formulierungen aufzulockern, hatte der Vorstand meiner Bank die Idee, den Berichten jeweils einige Seiten unter der Überschrift „Kunst in der Bank“ hinzuzufügen. Nach den Darstellungen von Gemälden, Frankfurter Fayencen, Tapisserien und sehenswerten Medaillen aus der Münzsammlung der Bank fiel mir nichts mehr ein, als abschließend einzelne Möbelstücke in den Besucherzimmern vorzustellen und damit die Reihe der Berichts-Illustrierung zu beenden.

Da ich mich nicht auf meine sehr rudimentären Kenntnisse von Antiquitäten verlassen wollte, wandte ich mich an den damals zuständigen Kurator im Historischen Museum  – Baron Ludwig Döry – mit der Bitte um eine Beurteilung der in Frage kommenden Möbelstücke. Zum vereinbarten Termin in der Bank kam Baron Döry nicht allein, sondern brachte einen Kollegen mit, einen gelernten Schreiner mit wunderschönem Frankfurter Dialekt, der vermutlich als Restaurator des Museums tätig war. Beiden Herren zeigte ich die von mir ausgewählten Stücke, wobei Baron Döry mit der stilistischen Einordnung begann, ehe sein Kollege seine sehr genaue Einzelprüfung mit buchstäblich allen seinen Sinnen vornahm, also sehend, tastend, vermutlich auch riechend. Dabei kamen erstaunliche Ergebnisse zustande: Als ich beispielsweise den Experten das nach meiner Meinung beste Stück – eine Louis-Seize-Kommode – zeigte, „entlarvten“ sie geradezu das vermeintlich Prunkstück: Der Lack sei zu dick aufgetragen, die Schubladenschlösser passten nicht in die Zeit, es seien nachträglich Holzstücke, gewissermaßen Spolien aus anderen Möbeln bei einer Restaurierung verarbeitet worden, mit einem Wort, hier könne man nicht mehr von einem Original aus der Zeit um 1750 sprechen. Als ich danach resignierend mit den Worten: „Dann findet dieses Stück bestimmt auch nicht Ihre Gnade“ auf eine Esszimmerkommode aus der Zeit des Historismus deutete, war die Antwort von Baron Döry und seinem Restaurator zu meiner Überraschung uneingeschränkt positiv: Hier stimme alles, hier sei nichts verändert worden, dieses Stück sei „ehrlich“. Seit diesem fachmännischen Urteil und der damit verbundenen Lebenshilfe denke ich anders über die vermeintliche „Rangordnung“ von Stilarten – dank der Fachleute des Historischen Museums.

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