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OPEN BOLONGARO – das Stadtlabor im Bürgerpalast

Im Westen Frankfurts wird aktuell der größte bürgerliche Spätbarock-Palast nördlich der Alpen saniert – und auch das HMF wird mit einer Dependance dort im ersten und zweiten Stock einziehen.

Die Künstlerin Gisela Hafer sammelte für das Stadtlabor Wünsche der Höchster*innen

Kurioserweise thront das majestätische Gebäude heute ausgerechnet deshalb über der Niddamündung, weil Frankfurt und Höchst auf eine sehr ambivalente gemeinsame Geschichte zurückblicken. Eigentlich hatte die Händlerfamilie der Bolongaros ihren Geschäftssitz in der Töngesgasse ausbauen wollen. In der reichen Messestadt Frankfurt wollte man den italienischen Katholiken aber kein Bürgerrecht erteilen – da half kein Geld und keine Fürsprache. Als Kurfürst Emmerich Josef 1768 die Wirtschaftslage des kleineren Nachbarn durch das Projekt einer Höchster Neustadt aufpeppen wollte, nahmen die Bolongaros als erste – und letztlich auch einzige – große Händlerfamilie die Einladung in diese Neustadt dankend an. Nachdem das Gebäude zeitweise auch als Rathaus diente, beendeten die beiden Nachbarstädte am Main 1928 ihre Rivalitäten: Höchst wurde ein Teil Frankfurts und somit auch der Bolongaropalast.

Ihr großes Vermögen machte die Familie, die selbst politische Diskriminierung erlebt hatte, ausgerechnet mit Tabak und Gewürzen, mit guten Kontakten in die Niederlande und somit letztlich auch durch die Nutzung kolonialer Strukturen. Geld scheint beim Bau des Bolongaropalastes kaum eine Rolle gespielt zu haben. Beinahe trotzig kann er sich mit fürstlichen Bauten durchaus messen.

Welchen historischen Faden soll man aufnehmen, wenn ein solches Gebäude neu eröffnet wird? Wir fragen uns, wie ein Bürger*innen-Palast heute gestaltet werden kann – und finden: am besten gemeinsam mit Bürger*innen! Für das neu entstehende Museum in Höchst übertragen wir daher die Haltung des Stadtlabors auch auf die Konzeption der Dauerausstellung. Zu erkunden gibt es ab 2024 in drei Ausstellungsabschnitten eine neue Präsentation der Porzellan-Ausstellung, die Geschichte des Gebäudes und seiner Bauherren sowie ein sozialgeschichtliches Stadtteil-Museum. Die jüngste Geschichte des Frankfurter Westens erzählen wir dabei im Rahmen eines Stadtlabors gemeinsam mit engagierten Vereinen und Einzelpersonen aus Höchst und Umgebung.

Die Workshops zum Stadtlabor OPEN BOLONGARO fanden im Kronberger Haus statt

Mit Flyern, Plakaten und E-Mails startete im Juli 2021 die Einladung zum Stadtlabor OPEN BOLONGARO. Keine leichte Zeit, um ein neues kommunikatives Netzwerk im Westen aufzubauen, denn zahlreiche Treffen und Stadtteilaktivitäten konnten aufgrund der Pandemieschutzmaßnahmen gar nicht, oder nur eingeschränkt stattfinden – und zugegeben: ganz so offen wirkt der zukünftige Bürger*innenpalast, eingehüllt in Baugerüste und Sicherheitsabsperrungen, zunächst noch nicht. Im Westen Frankfurts gibt es allerdings viel zu entdecken und gemeinsam neu auszuhandeln. Bis November 2022 haben wir mit über 20 Stadtlaborant*innen 13 spannende Beiträge für das neue Höchst-Museum erarbeitet.

Die Kinder des Stadtteil Kinderhauses Höchst haben auch schon Ideen für den neuen Palast (Foto: Neven Allgeier)

Das Stadtteil-Kinderhaus könnte mit dem Kinderparlament zukünftig ein regelmäßiger Nachbar im Palast sein und so haben sie eine mobile Kinderlitfaßsäule entwickelt, die zwischen Parlament, Stadtraum und Stadtlabor für regen Austausch genutzt werden kann. Die Architektin und Urbanistin Tülay Güneş wird Orte der postmigrantischen und postkolonialen Stadtstrukturen sichtbar machen. Die Künstlerin Gisela Hafer hat über 130 Wünsche heutiger Höchster*innen zu einem Textilkunstwerk verbunden. Udo Koch, der als „Rotfabriker“ seit vielen Jahren persönliche Andenken und städtische Hinterlassenschaften des Industrieparks sammelt und anvertraut bekommt, wird einen Teil seiner privaten Sammlung als „musée sentimental“ zeigen. Sabine Fischer, Consuelo Terraza, Tülay Selur und Sylvia Heusel erzählen in ihrem Beitrag „Gekommen um zu bleiben“ vier Geschichten von Frauen unterschiedlicher Generationen, die in Höchst ein neues Zuhause gefunden haben und den Stadtteil seither aktiv mitgestalten. Mit dem „Sich-Einrichten“ und dem Einräumen eines neuen Ortes setzt sich auch der Eritreische Kulturverein in seinem Beitrag auseinander. Barbara Greul Aschanta erinnert in ihrer dreiteiligen Kunstarbeit „Hölle und Himmel in Höchst“ sowohl an Protestaktionen junger Tierschützer*innen, als auch an ihr erstes eigenes Atelier. Professor Peter Hartwich setzt sich in einer eigenen modernen Plastik mit der Formsprache des spätbarocken Gebäudes auseinander, während sein Ateliernachbar Benedikt Seemann fotografisch das Sammeln an sich hinterfragt. Amir Mansoor sammelt mit dem Verein PakBann e.V. Stimmen zur „Würde des Menschen“. Franz Jaskiola wird das Hostato-Wandgemälde im Kapellensaal mit einem Hörspiel über diese Stadtsage erweitern. Steffen Zindel gibt mit der Foodsharing-Gruppe Frankfurt West einen Einblick, wie bürgerliches Engagement und dezentrale Organisation auch Dank Social Media gelingen kann. Die Urban Sketchers Rhein-Main haben nicht nur beinahe die gesamte Bolongarostraße skizziert, sondern auch ‚Momentaufnahmen‘ der Sanierung des Gebäudes in subjektiven und künstlerischen Bildern festgehalten.

Noch brummt der Bolongaropalast unter den anhaltenden Bautätigkeiten vor sich hin – doch wer genau hinhört kann bereits feststellen: es besteht kein Zweifel daran, dass er bald ein offener und vielseitiger Bürger*innen-Palast sein will!

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