Ausstellen Neudenken + Entwerfen

Riskieren Sie das Scheitern!

Was eine Stadt ist, wird durch die Alltagspraktiken der Städter*innen dynamisch inszeniert. Kollektiv wird ein Netz an Bedeutungen gestrickt, das sinn- und identitätsstiftend ist und damit die gefühlte Stadt manifestiert und repräsentiert. Dieses Wissensnetz ist die Grundlage des städtischen Selbstverständnisses und damit ein verheißungsvoller How-To-Wissensschatz für Museen. Besonders Stadtmuseen haben mit diesem flüchtigen Untersuchungsgegenstand zu kämpfen und entwickeln unterschiedliche Strategien im Umgang mit den performativen Akten der Sinngenerierung. Dabei stehen sie einer Vielzahl neuer urbaner Artikulationsformen und Akteur*innen gegenüber, die zunehmend als wichtige „Quellen“ erkannt werden. Partizipation ist in dieser Konstellation ein Schlüsselbegriff in doppelter Hinsicht, da das Phänomen der städtischen Selbstorganisation nach kreativer Teilhabe strebt und Museen zunehmend an diesem Punkt ansetzen.

Am 29. Oktober 2014 diskutierten im Historischen Museum Frankfurt die Stadtlabor- Kuratorinnen und -Partizipienten zusammen mit dem Journalisten Hanno Rauterberg das spannungsreiche Aufeinandertreffen von Museen und urbaner Kultur. Beteiligt waren Cornelia F.C. Heier, Sybille Fuchs, Frank Paulun, Sonja Thiel, Angela Jannelli und Susanne Gesser.

Ausgangspunkt waren die Gedanken, die Hanno Rauterberg in seinem 2013 erschienen Buch „Wir sind die Stadt!“ entwickelt hat. Guerilla Gardening, Urban Gaming und Guerilla Knitting sind Phänomene, die das Aufkommen einer neuen urbanen Kultur verkörpern. Sie ist von einem gesteigerten Verlangen nach Kollektivität gekennzeichnet. Die Rückeroberung des urbanen Raums ist von den Auswirkungen der digitalen Moderne geprägt: nicht mehr Automobil, sondern Smartphone gewährleisten Mobilität. Mit diesen Kommunikationsmitteln erreichen kleine Initiativen ungeahnte katalysierende Effekte im Sozialen, sind jedoch temporär beschränkt und fluide.

Rauterbergs Thesen wurde mit den Erfahrungen aus dem partizipativen Ausstellungsformat „Stadtlabor unterwegs“ des Historischen Museums Frankfurt kurzgeschlossen. Seit 2010 entwickelt das Stadtlabor-Team Ausstellungen, die sich dem gegenwärtigen Frankfurt widmen. Um die gefühlte, lebendige, erlebte Stadt auszustellen, bedarf es vieler Stimmen und Blicke, die in Zusammenarbeit mit Stadtlaborant*innen artikuliert werden. Diese sind als Co-Kurator*innen in den Ausstellungsprozess von Anfang an involviert, bestimmen ihre Inhalte, Thema, Anmutung und Orte. Das Museum ist für die Ausstellungsexpertise zuständig, organisiert und moderiert den Prozess. Nach einjähriger Zusammenarbeit löst sich die Gruppe wieder auf. In dem jährlichen Projektzyklus bot die Veranstaltung eine kurze Pause zum Luftholen und reflektierten Rückblick: Wie verschieben sich die Rollen der Beteiligten? Was ist die Motivation der Stadtlaborant*innen? Welche Konflikte und Konsequenzen sind zu beobachten?

 Soziale Skulptur, soziale Anerkennung, Social Curator

Also Zoom: hinein in die Meinungen der Beteiligten. Wie unterscheidet sich der Blick von außen und innen?

Die Stimmen der Stadtlaborant*innen spiegeln ihre verschiedenen Hintergründe wider: während die Künstlerinnen Cornelia F.C. Heier und Gabriele Juvan die Verbindung von künstlerischer Tätigkeit und sozialer Kommunikation betonen, findet der Sozialarbeiter Frank Paulun gerade den Kontakt mit der brodelnd-kreativen Szene beim Stadtlabor ansteckend. Die Naturwissenschaftlerin Sybille Fuchs spricht vom Katalysator, der dafür sorgt, dass zwei Elemente miteinander reagieren. In allen Aussagen wird deutlich: das Stadtlabor ist ein Experimentierfeld für alle mit offenen Strukturen. Trotzdem kann in den letzten Stadtlabor-Projekten ein deutlicher Zuwachs an beteiligten Künstler*innen beobachtet werden. Dass das Stadtlabor trotzdem nicht zu einer „Kunsthandwerksmesse“ wird, liegt an dem gemeinsamen Prozess, der alle Teilnehmer*innen zusammenführt. Die einzelnen Beiträge werden als Teil einer gemeinsamen Ausstellung entwickelt und sind in der Mehrzahl „Gruppenarbeiten.“ „In diesem Labor lernen alle Beteiligten“, sagt die Künstlerin Gabriele Juvan und hebt auf ihre Frustrationstoleranz ab, die sie in der Zusammenarbeit mit den Parkreinigern der integrativen Drogenhilfe FriedA e.V. erst aufbauen musste. Die Kuratorinnen sehen sich immer anderen Konstellationen ausgesetzt, in denen die richtige Kommunikation erst im Prozess miteinander entsteht. Die Beteiligten lernen durch die große Bandbreite der Biografien und Motivationen der anderen eine offene Auseinandersetzung auf Augenhöhe und werden in eine Form der emanzipativen Arbeit eingeführt.

Stadtlabor unterwegs: hybride Struktur zwischen Museum und urbaner Bewegung

„Der organisatorische Quatsch (das Beantragen von Genehmigungen beispielsweise) wird einem abgenommen ohne, dass ein Eingriff/Übergriff auf die Inhalte vorgenommen wird.“, sagt Cornelia F.C. Heier. Ist das Museum also Ermöglicher? Oder findet hier eine Domestizierung wilder Urbanität statt? Wir haben es beim Stadtlabor ja nicht mit Urbanismus von unten zu tun und alle scheinen so auffällig friedlich und harmonisch. Da wird schnell die Frage nach den Konflikten laut: wie wird denn in diesem Rahmen mit kritischen Themen umgegangen? Es wird auf eine Darstellung verschiedener Meinungen abgezielt, dabei bewegt sich das Museum als städtische Institution in einer Grauzone, in der es leicht mit anderen Ämtern Schnittmengen entwickelt. Die administrativen Zuständigkeiten in der Stadt überschneiden sich mit den Themen der Ausstellung – das Stadtlabor und seine wichtigste Ressource, das implizite Stadtwissen, sind interdisziplinär und halten sich nicht an Ämter und Bereiche. Hier ist die innerstädtische Vernetzung und Integration anderer Ämter die Grundlage für ein Gelingen. Konflikte zeigten sich bei der letzten Ausstellung „park in progress. Stadtlabor unterwegs in den Wallanlagen“ auch in der Auseinandersetzung mit anderen Stadtbewohner*innen: die Outdoor-Ausstellung in der Grünanlage war den Besucher*innen 24/7 zugänglich, Vandalismus fand vielfältig statt. Konflikte im Team wurden nicht beschrieben. Wichtig ist die Balance: produktive Konflikte sollten zugelassen werden.

Was bleibt und wie ist der Erfolg messbar?

Ein Stadtlaborant beschreibt seine persönliche Erfahrung so: „Ich habe begriffen, dass die Stadt mein Raum ist und der muss nicht so bleiben wie er ist.“ Im besten Falle wird durch das Format also ein aktiver Zustand vermittelt, der die Stadtbewohner*innen „empowert“. Die Stadtlaborantin Helga Franke nennt das: kleine Agoren schaffen. Sie geht davon aus, dass Städter*innen beispielsweise nicht mehr gewohnt sind, sich im öffentlichen Raum zu artikulieren. Sie könnten nur durch Projekte wieder daran heran geführt werden. Mit dem LeseSchreibKollektiv trägt sie den Empowering-Anspruch weiter, wird zum Keyworker, verlängert und potenziert das Stadtlabor. Auf der anderen Seite wird die Flüchtigkeit des Stadtlabors durch die Dauerhaftigkeit des Museums aufgefangen, woraus verschiedene Möglichkeiten der Repräsentation und Sammlung des Stadtlabors erwachsen. So wird im Neubau des Museums ab 2017 eine ganze Dauerausstellung dem Frankfurt Jetzt! gewidmet sein und auf die Stadtlabor-Inhalte aufbauen. Auch die Vernetzung unter den Stadtlaborant*innen und das Wissen um die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit ihrer Stadt bleiben. Oft entstehen im Projekt ungewöhnliche Allianzen, lang schon angedachte Ideen können endlich verwirklicht werden und haben dann auch weiter Bestand (z.B. Kirchplatzgärtchen e.V.). Die Mitarbeit am Stadtlabor regt neue Ideen an und bereichert den Alltag ungemein. Der Blick auf die Stadt ist plötzlich von einer Vielstimmigkeit inspiriert, die dazu anstiftet, unsere eigene Geschichte in die große Erzählung einzupflegen. Und darin sind Museen ja nun mal wirklich gut. In diesem Sinne wünscht die Diskussionsrunde den zukünftigen Stadtlaborant*innen: utopistisch zu denken und die dargebotene Plattform ohne Ängste zu nutzen – „Riskieren Sie das Scheitern, denn das ist das Format dazu! Viel Glück.“

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