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Schreibtischtäter

„Die Banalität des Bösen“ nannte Hannah Arendt, die an dem Eichmann-Prozess als Beobachterin teilgenommen hatte, die zynisch nüchterne Art und Weise, wie die Nationalsozialisten die Vernichtung der Juden geplant und organisiert hatten. Auch der Begriff des „Schreibtischtäters“ geht auf die Berichterstattung über diesen Prozess Anfang der 1960er-Jahre zurück. Er sollte den Typ des Bürokraten kennzeichnen, der nach formalen Recht und Gesetz die schlimmsten Untaten anordnet oder durchführt, ohne die eigene Weste zu beflecken. Deshalb war es eine geniale Idee der Ausstellungskuratorinnen Katharina Stengel und Bettina Leder, den Legalisierten Raub durch die NS-Finanzbehörden in der neuen Ausstellung mit einem nachgebauten Büro aus der Nazizeit plastisch vorstellbar zu machen.

Blick in die Ausstellung: Geerbt. Gekauft. Geraubt? - Objekte in einer Vitrine

Das Historische Museum ist die letzte Station einer seit 16 Jahren gezeigten Wanderausstellung über die systematische Beraubung der jüdischen Bevölkerung. Die dabei gezeigten Dokumente machen sichtbar, dass etwa nicht nur SS- und Gestapo-Schergen zu den Tätern gehörten, sondern auch biedere, vermutlich mit Ärmelschonern ausgestattete Finanzbeamte, die die jüdischen Mitbürger mit zunehmend schikanösen und immer höheren Steuern, Abgaben und auch direkten Vermögensabgaben bis zur totalen Verarmung belegten. Der Zustand der Mittellosigkeit führte schließlich dazu, dass es für die Betroffenen immer schwieriger wurde, die Kosten für eine Flucht ins Ausland aufzubringen. Gleichzeitig nahm auch die Bereitschaft ausländischer Staaten ab, mittelose Juden aufzunehmen. Insofern ist es nicht gewagt, auch der Finanzverwaltung eine Mitschuld am Holocaust zu geben.

Das HMF hat die vom Fritz Bauer Institut und dem Hessischen Rundfunk ursprünglich konzipierte Wanderausstellung durch eine Ausstellung ergänzt, die die Spuren des „legalisierten Raubs“ im Museum und in Privathaushalten zeigt. Auch die Bibliothek der Generationen beteiligt sich an der Ausstellung: In sechs Dossiers wird erläutert, wie drastisch sich die Gesetze und Verordnungen auf das Leben von Personen und Familien ausgewirkt haben. Zusammen mit drei anderen städtischen Museen präsentiert das HMF auch Bestände, die in der NS-Zeit erworben wurden sowie die Rolle der Provenienzforschung im Museum. Für manches renommierte Haus ist die ungenierte Beteiligung am legalisierten Raub wie auch die zögerliche Rückgabe nach Kriegsende wahrlich kein Ruhmesblatt gewesen. Ein schönes Beispiel für die Idee des partizipativen Museums ist schließlich das Angebot des Stadtlabors im HMF an Museumsbesucherinnen und -besucher, im Rahmen von Workshops nach den Spuren von Gegenständen unsicherer Herkunft im eigenen Haushalt zu suchen. Dass die Kuratorin Angela Jannelli mit einem Stuhl aus ihrer Wohnung den Anfang zu dieser Suche macht, ist eine passende Pointe.

Blick in die Ausstellung: Geerbt. Gekauft. Geraubt?

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