von Anna Dhein
„100 Jahre Neues Frankfurt“ heißt auch „100 Jahre Frankfurter Küche“ – also: höchste Zeit das historische Erbe des Innovationsprojekts unter die Lupe zu nehmen!
„Ich hatte mit Küche und Kochen nichts am Hut. Aber die Männer um mich herum haben mich halt zu dieser Aufgabe gedrängt.“
Dieses Zitat stammt von der „Mutter der modernen Einbauküche“, der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky. Ihre Frankfurter Küche gilt als kulturelles Erbe der 1920er Jahre. Die Idee, Arbeitsprozesse im häuslichen Raum zu optimieren wird als innovative Erleichterung des weiblichen Alltags gefeiert. Dass sich ausgerechnet die Architektin dieser allgemeinen Hochstimmung nicht anschließt, mag auf den ersten Blick verwundern. Immerhin war ihre Kreation für Frauen in den 1920ern doch eine wunderbare Neuerung… oder?
In der aktuellen Stadtlabor-Ausstellung „Alle Tage Wohnungsfrage. Vom Privatisieren, Sanieren und Protestieren“ des Historischen Museums Frankfurt stellten sich die Stadtlaborantinnen Wiebke Aurand, Jasmina Lüdtke und Leni Zepke genau diese Frage. Der vermeintlich feministische Grundgedanke der Frankfurter Küche steht auf dem Prüfstand.
Denn aus einem kritischen Blickwinkel zeigt sie ihre weniger erfreulichen Seiten. Der höchstens sechs bis sieben Quadratmeter große Küchenraum lässt Platz für bloß eine Person, die hier Care-Arbeiten wie das Kochen verrichtet. Und man ahnt es bereits: diese Person ist damals typischerweise weiblich.
Trotz wichtiger politischer Meilensteine im Kampf um die Gleichberechtigung wirkten Ungerechtigkeit und Diskriminierung nach wie vor in den gesellschaftlichen Strukturen der 1920er Jahre fort. Frauen in der Weimarer Republik durften zwar einem Beruf nachgehen, jedoch war ihre Arbeit meist schlechter bezahlt als die der männlichen Kollegen und sie besetzten in der Regel niedrigere Positionen.
Anstatt zur Auflösung des weiblichen Rollenbildes der „Ehefrau und Mutter“ kam es durch die Ausübung eines Berufs für Frauen oft zu einer Doppelbelastung. Denn die Bewältigung des „Löwinnenanteils“ der Care-Arbeit im privaten Raum blieb in der gesellschaftlichen Erwartung weiterhin „Frauensache“. Ein kritischer Blick darauf zeigt, dass die Frankfurter Küche genau diese Erwartung in ihrem Raumkonzept reproduziert. Der unausgesprochene Anspruch an die Nutzerinnen: noch mehr, noch schneller, noch effektiver. War die Küche zuvor zugleich auch Ess-, Wohn- und Aufenthaltsraum, avanciert sie nun zum abgegrenzten Arbeitsplatz. Die Optimierung der Care-Arbeit erinnert dabei an die Rationalisierung von Arbeitsprozessen in einer Fabrik: Care-Arbeit ist dabei eine körperlich und mental fordernde Arbeitsleistung. Sie ist weder selbstverständlich noch entbehrlich.
Gewährleistete die Frankfurter Küche also vor allem eine effizientere Ausbeutung von unbezahlter weiblicher Arbeitskraft? Die Frankfurter Küche ist ein „time piece“. Sie vereint die Ambivalenzen einer Zeit, die einerseits geprägt war von Fortschritten der Emanzipation, andererseits aber auch vom Fortbestehen traditioneller Rollenbilder.
„Fortschritt oder Einengung?“ fragen die Stadtlaborantinnen deshalb in ihrem Beitrag und laden dazu ein, diese Frage auf das Heute zu übertragen.
Wie einengend sind Konzepte von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung für Frauen heute noch? Teilen moderne Paare die Care-Arbeit gerecht untereinander auf? Oder herrscht vielmehr immer noch die unausgesprochene Erwartung, dass Care-Arbeit prinzipiell und vermehrt von Frauen zu leisten sei? Und noch weiter ausgeholt – zwischen scheinbar perfekten Darstellungen auf Social Media und einem, immer schnelllebiger werdenden Alltag: Wie viel Optimierung brauchen und wollen wir in unseren privaten Räumen überhaupt?
Schneller, höher, weiter? Oder lieber Rücksicht und Kooperation?



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