Sammeln + Pflegen

Stadt, Land, Alchemie

Was ihr über Matthäus Merian den Älteren (vielleicht) noch nicht wisst…

Wer Frankfurt kennt, hat sicherlich schon einmal den Großen Frankfurter Stadtplan von 1628 von Matthäus Merian dem Älteren (1593-1650) gesehen. In diesem Kupferstich schlängeln sich die Straßen auf dem Papier und bilden mit Gebäuden, der Stadtmauer und dem Main die Frankfurt während des Dreißigjährigen Krieges ab. Dabei zeigt Merian die Stadt aus der Vogelperspektive von Südwesten in einer Kombination von Grund- und Aufriss, die den Plan dreidimensional wirken lässt. Hierdurch entsteht eine Schrägsicht des Planes, sodass der Betrachter seinen Blick durch die Gassen wandern lassen kann. Der Frankfurter Stadtplan von Merian wurde immer wieder den Veränderungen der Stadt angepasst und neu aufgelegt. Dies können Besucher*innen durch mehrere Stadtpläne und Kupferplatten, die bei uns im Museum in der Dauerausstellung „Frankfurt Einst?“ ausgestellt sind, nachvollziehen.

Matthäus Merian der Ältere, Nachdruck Großer Plan der Stadt Frankfurt aus Südwesten, 1826 © hmf, Horst Ziegenfusz

Ja, Merian der Ältere ist für seine Kupferstiche bekannt, seine Stadtpläne und Landkarten. In unserer Sammlung befinden sich aber nicht nur Stadtpläne, sondern auch ein Druckerzeichen aus dem Hause Merian. Dieses Zeichen zeigt zwei Putten, die ein verschnörkeltes Emblem halten. In dessen Mitte steht ein Storch mit einer Schlange im Schnabel. Das darüberliegende, halbrunde Banner „Ciconia Merian“, verweist auf die Lateinische Bezeichnung des Storches und ist zugleich ein Hinweis auf die Patrizierfamilie Merian. Der darum herumlaufende Schriftzug verrät das Motto der Buchdruckerei: Pietas contenta lucratur.

Doch was – bislang – wenige wissen: Merian arbeitete in seiner frühen Schaffenszeit in Frankfurt auch an Illustrationen für Alchemiebücher. Von 1616 bis 1625 bebilderte er fast 20 Schriften von großen Verfechtern der Alchemie. Zu dieser Zeit arbeitete er für die Verlage der Brüder Johann Theodor de Bry und Lucas Jennis, die in Oppenheim und Frankfurt ansässig waren. Diese Verlage brachten viele Druckschriften hervor, die alchemische Texte behandeln. Merian war so sehr in die Verlage und deren Kupferstecherei involviert, dass er im Jahr 1626 den Verlag De Brys – er war mit dessen Tochter verheiratet – unter seinen eigenen Namen übernahm.

Die alchemischen Bebilderungen Merians erinnern in ihrer Detailliertheit an seine Stadtpläne, haben jedoch eine Besonderheit: Dem Kupferstecher gelang es, häufig ohne ein direktes ikonographisches Vorbild, raffinierte Bildsynthesen zu schaffen. Merian schaffte es zudem, durch seine künstlerische Ausarbeitung, die Kupferstecherei an die Malerei anzunähern: er fügte seine wissenschaftlichen Illustrationen alchemistischer Schriften in realistische Landschaftsdarstellungen ein. Merians Bilderfindungen fanden sogar Eingang in die Bildsprache der Alchemie! 

In dieser Zeit, dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts, erhält das Medium „Bild“ eine wichtige Rolle als eigenständiges Mittel der Wissens- und Erkenntnisvermittlung. Es ist zugleich die Zeit, in der sich die hochwertigen Alchemica illustrata aus Frankfurt und Oppenheim von der Masse alchemischer Illustrierungen abheben. Ein Großteil dieser Frankfurter Alchemie-Literatur ist heute in der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg aufbewahrt.

Genau dieser Sammlung widmet sich das Forschungs- und Studierendenprojekt „Matthäus Merian d.Ä. und die Bebilderung der Alchemie um 1600“, geleitet von Dr. Berit Wagner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität Frankfurt. In Zusammenarbeit mit Studierenden der Universität sowie Expert*innen aus anderen Hochschulen, Archiven, Museen und in Kooperation mit der Universitätsbibliothek der Goethe-Universität Frankfurt entstand die dynamische Wissensplattform und virtuelle Ausstellung: digitale Wissensplattform „Bebilderung der Alchemie“. Auf der Webseite können sich Besucher*innen durch Druckgraphiken, Bücher, Gemälde, Kunstkammerstücke und alchemistische Instrumente klicken, die mit Objekttexten, Literaturangaben und Quellenverweisen versehen sind.  Zudem können Interessierte eine umfangreiche Bibliographie sowie Fachartikel und Abschlussarbeiten abrufen.

Wir finden: Die digitale Plattform erfreut sowohl Alchemie-Änfänger*innen als auch Expert*innen. Und auch Berit Wagner und ihr Projektteam haben gute Gründe zur Freude. Die virtuelle Ausstellung und die Wissensplattform zur Bebilderung der Alchemie wurde Ende Juni mit dem Johann Philipp von Bethmann-Studienpreis 2021 ausgezeichnet. Damit ist es das erste Mal, dass dieser Preis für ein digitales Projekt verliehen wird.
Das Projekt ist jedoch nicht nur sehr informativ in Bezug auf die alchemische Buchillustration im 17. Jahrhundert, sondern auch interessant für unser Historisches Museum. Denn sowohl das Merian-Projekt, als auch der Occulta-Bestand der Universitätsbibliothek tauchen ihre wissenschaftlichen Fußspitzen in die Geschichte der alten Frankfurter Verlage – und somit in die Stadtgeschichte. Zudem ergänzt das Alchemie-Projekt die im Historischen Museum aufbewahrten Karten, Kupferstiche und Druckerzeichen Merian des Älteren. Diese Verbindung zwischen Merian, sein Schaffen und den Frankfurter Institutionen veranlassten zu einem Crossover zwischen dem Projekt „Bebilderung der Alchemie“ und dem Blog des Historischen Museums Frankfurt.

Für diesen Beitrag wurden folgende Quellen verwendet:
– https://merian-alchemie.ub.uni-frankfurt.de/
– Ausstellungskat. zur Ausstellung im Museum für Kunsthandwerk Franckfurt am Mayn (15.9. – 7.11.1993) und im Kunstmuseum Basel (28.11.1993 – 13.2.1994) … zum 400. Geburtstag des hochberühmten Delineatoris (Zeichners), Incisoris (Stechers) et Editoris (Verlegers) Matthaeus Merian des Aelteren, Frankfurt am Main 1993.
– Baudouin, Frans: Peter Paul Rubens und Matthaeus Merian der Ältere, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte Bd. 53, H. 2 (1990), S. 160-176. URL: https://www.jstor.org/stable/1482529

3 Kommentare zu “Stadt, Land, Alchemie

  1. „die Frankfurt während des Dreißigjährigen Krieges ab“ – die was?

  2. Merian ist ja ein bekannter Kupferstecher für die Städte – und nicht wenige staunen, wenn sie hören, dass er auch mit der Alchemie in Verbindung steht. Hat das doch etwas „okkultes“, „geheimnisvolles“ und damit potentiell „gefährliches“. (-;

    Aber damals war die Welt noch eine andere und die Alchemie eben ein Wissenschafts-Zweig. Heute sind wir so sehr von dem „Ich denke, also bin ich“ geprägt und die Wissenschaft versucht seit langem, die Welt unabhängig vom Menschen zu verstehen. So trennte sich die Chemie von der Alchemie.

    Das war aber nicht immer so und ist auch nicht unbedingt richtig – und interessanterweise kommen wir so allmählich wieder mehr in die Richtung „Ich bin, also denke ich“. Wir sind ein Teil der Welt und beeinflussen sie, ob wir wollen oder nicht, schon allein durch unser Sein und unsere Gedanken und Gefühle (sic!)

    Diese Verbindung ist real und ihre Erforschung eine spannende Sache und entzieht sich aber auch etwas unserer Sprache. Auch deshalb verwendeten die Alchemisten so gern Symbole. Und eben deshalb haben wir heute diese wunderbaren alchemisten Zeichnungen, die etwas in uns berühren, auch wenn wir sie nicht verstehen.

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