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Die Gefahr aus dem Boden

Drei Zünder. 74 Jahre steckten sie in der Luftmine, rund anderthalb Meter tief im Boden. Jetzt liegen sie vor uns in einem Pappkarton: entschärft, ungefährlich und unscheinbar. Es sind drei mechanische Aufschlagzünder. Ihre Zündnadeln stoßen beim Aufschlag in den Initialsprengstoff und lösen die Explosion des Sprengkörpers aus. Im März 1943 als die HC 4000 auf den Boden des IG Farben-Geländes auftraf, bewegten sich die Zündnadeln nicht. IG Farben und das Westend blieben stehen.

Auf den Luftbildern der Alliierten, die der Kampfmittelräumdienst aus Darmstadt nutzt, ist die Luftmine nicht zu erkennen. Der Bauherr muss trotzdem die Baustelle auf Kampfmittel überprüfen lassen. Dabei wird am 29. August 2017 die Luftmine, in der die drei Zünder steckten, entdeckt. 74 Jahre schlummerte sie luftdicht „verpackt“, bei nahezu gleichbleibender Temperatur und Feuchtigkeit im Erdreich. Mit ihrem Fund war die Bombe schlagartig der Witterung ausgesetzt. Da sich ein Teil der Stahlhülle bereits aufgelöst hatte, lag der Sprengstoff frei. Durch dessen Reaktion mit der Luft konnten sich stoßempfindliche Kristalle bilden, die bei Reibung oder Druck zur Explosion hätten führen können. Die größte Gefahr blieben die drei Zünder. Altersbedingte Zersetzungsprozesse machen die Zünder von Blindgängern unberechenbarer als vor 74 Jahren … Der Kampfmittelräumdienst entschärft aufgefundene Sprengkörper meistens noch in derselben Nacht. Dieses Mal nicht. René Bennert, Entschärfer beim Kampfmittelräumdienst Darmstadt, teilte der Polizei den Evakuierungsradius von 1,5 km mit. Das betraf rund 65.000 Menschen. Eine Evakuierung dieser Größenordnung braucht Vorlaufzeit. Vier Tage warteten René Bennert und sein Team. In dieser Zeit schmierte René Bennert die Zünder immer wieder mit Kriechöl ein. In der Hoffnung, dass er sie später leichter aus ihren Gewinden entfernen könne. Am 3. September 2017 ist es soweit: von Hand setzte René Bennert die Raketenklemme an jeweils einen Zünder. Der einzige Moment, indem der Entschärfer direkt an der Bombe hantieren musste. Aus der Deckung schraubte René Bennert die Zünder per Fernsteuerung heraus. Alle drei Zünder ließen sich aus den Gewinden herausschrauben. Die größte Gefahr war gebannt: Die Luftmine war nicht mehr scharf.

Das ZDF strahlte am 21. Dezember 2017 seinen Jahresrückblick „Menschen 2017“ aus. Der Fund der Bombe und die rettende Tat des Entschärfers René Bennert wurden in der Sendung zu einem zeitgeschichtlichen Dokument. Die Aufzeichnung kommt natürlich in unsere Museumdatenbank! Die Bombe selbst in unsere Sammlung!

2 Kommentare zu “Die Gefahr aus dem Boden

  1. Danke für den spannenden Einblick in das Entschärfen der Mine – und Glückwunsch zum neuen Objekt.

    Zufällig ist in diesem Monat auch im Deutschen Uhrenmuseum ein Zünder ausgestellt. Im Zweiten Weltkrieg stellte die Firma Junghans spezielle Zünder für die Flugabwehr her, die Aufschlag- und Zeitzündung kombinierten. Die Geschichte hinter diesem Objekt ist jederzeit bei uns nachzulesen:

    https://deutsches-uhrenmuseum.blog/2018/01/04/zuender/

    Herzliche Grüße vom Team des Deutschen Uhrenmuseums!

  2. Dr. Christos Vittoratos

    Das Objekt als solches wäre nur ein Stück Militär-Altmetall. In Erinnerung bleibt für diesen Tag ein Zusammenrücken der Stadtbewohner und eine Gastfreundschaft unter fremden Mitbürgern die wir zuvor nie erlebt hatten. Was hast du an dem Tag gemacht, werden wir uns bald fragen.

    Von da her, vielen Dank für das Aufspüren und Bewahren dieses „Zeitzeugen“.

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