Ausstellen

Kultur-Tipp: Retrogames

Koproduktion mit CAROLINE JANSKY im Rahmen der Blogparade „Mein Kultur-Tipp für Euch“

Tok, tok, tok, unkontrolliert-zäh zuckelt der helle Strich vertikal durch die Nacht des schwarzen Bildschirms. Immer in Bewegung bleiben – tok, tok – mein Schläger pariert den fies über Ecke gespielten weißen Punkt. Um mich herum klingeln Synthesizer und elektronische Stimmen. Die Drehknöpfe haben viel Spiel, so viel, wie sich eben in den letzten 30 Jahren ansammeln konnte. Wer der puristischen Tischtennis-Abstraktion „Pong“ nichts abgewinnen kann, findet auch die anderen Allstars in greifbarer Nähe: Der nimmersatte Pac-Man wartet direkt neben der Tetris-Baustelle auf Bearbeitung. Weiter hinten präsentiert sich eine exquisite Auswahl an Flippern und Racing Games. Dazwischen alles, was in den Arcade-Spielhallen des späten 20. Jahrhunderts Rang und Namen hatte. Während das Ausmaß unserer Daddeleien damals jedoch stark von der elterlichen Taschengeldregelung kontrolliert wurde, gibt es heute kein Halten; das Saturday Night Fever hat uns erfasst und wir schwitzen um die Wette.

Was sich wie ein Kindheitstraum anhört, ist in Karlsruhe bei Retrogames e.V. möglich. 2002 gegründet, hat es sich der Verein zur Aufgabe gemacht, die Kultur der elektronischen Videospiele zu sammeln und zu vermitteln. Über 70 Spielautomaten hat der Verein vor dem Vergessen gerettet und stellt diese in einer wirklich spielbaren Ausstellung, jeden Samstagabend der Öffentlichkeit (für nur drei Euro Eintritt) zur Verfügung. Im Gegensatz zu anderen Museen ist das Anfassen hier ausdrücklich erwünscht.

Die Retrogames-Ausstellung bietet ein museales Erlebnis der besonderen Art: Hier lässt sich beobachten, wie die Vermittlung eines leidenschaftlichen Interesses an der Geschichte einer kulturellen Praxis gelingt. Dass es hier nicht „nur“ ums Daddeln und Unterhalten-Werden geht, machen uns die jedem Automaten zugeordneten „Werkbeschreibungen“ deutlich – sie warten mit Details zu Technik, Datierung, Entwicklung und historischer Bedeutung der jeweiligen Hard- und Software auf. Die Ausstellungsmacher*innen haben in diesem Sinne die Regeln des Spiels „Ausstellen“ verstanden und befolgen sie: Sowohl auf der Produktions- als auch auf der Rezeptionsseite bedeutet es vor allem ein Nachdenken über die, ein Forschen an den Gegenständen.

„Freeplay“ lautet das Motto der samstäglichen Öffnung für Besucher*innen, und hier lohnt es sich, genauer hinzusehen. Die Befreiung der Automaten von ihrem Nutzwert, die Verschiebung der Perspektive, die so charakteristisch ist für die Musealisierung von Gegenständen, lässt sich hier anhand einer technischen Manipulation en Detail nachvollziehen: Statt Geld in den Einwurf der Münzautomaten zu stecken, muss nur ein Startknopf gedrückt werden, damit das Spiel beginnt – und den ökonomischen Zwängen der Kulturindustrie enthoben, können wir uns auf die wirklichen Werte der Werke entsinnen, ohne in die beleidigte Haltung des immer irgendwie betrogenen Konsumenten gedrängt zu werden: Auch wenn die Steuerung für uns Ungeübte nahezu unbeherrschbar scheint, die Schönheit des über den Bildschirm schießenden Kathodenstrahls im Atari-Spiel „Asteroids“ müssen wir anerkennen, und dass wir beim Spielen von Segas „Space Harrier“ die Bewegung der Spielfigur im hydraulischen Sitz miterleben können, ist eine kleine Sensation. Wir sehen den Einzug der 3D-Grafik mit Schaudern und freuen uns, die Lucas-Film-Welt zu durchflippern. Hier werden uns Freispiele und Bonuslevel geschenkt, statt dass wir sie uns mühsam erarbeiten müssen, und das befreit unseren Blick und lenkt ihn auf die Details und Besonderheiten, die Kuriositäten und historischen Zusammenhänge der Spielewelt.

Die Arcade-Automaten sind Tore zu anderen Welten. Sie eröffnen Einblicke in das Lebensgefühl der 1980er und 1990er Jahre, in bezaubernd minimalistische Designs und generationsprägende Soundeffekte, in eine neon-farbene Ästhetik, deren Technik noch widerspenstige Joysticks und ganze Schaltzentralen-Tableaus umfasste, und in die Ikonenwelt der damaligen Popkultur. Im Nebeneinander der Automaten kristallisieren sich unterschiedliche Zeitbilder, die keiner externen Erklärung mehr bedürfen… Ready? 1, 2, 3 – Go!

3 Kommentare zu “Kultur-Tipp: Retrogames

  1. Liebe Franziska, liebe Caroline,

    oh man, ich fühle mich in meiner Kindheitheit bzw. Jugend zurückversetzt. Jep, ich gehöre zur Pac-Man Generation, kenne die ganzen Spielautomaten noch vom Camping-Platz in Frankreich. Wie gerne ging ich da hinein, wie wenig durfte ich damals spielen, da es bei uns eine Geldfrage war. Ganz anders heute nun mit Junior. League of Legend spielte ich kürzlich mit ihm und ich habe gar nichts verstanden, während er mich dirigierte und irgendwann entnervt das Ruder übernahm, dachte ich tatsächlich an Pac-Man und Co 😉

    Ich bin voll Retro und dazu stehe ich. Karlsruhe besitzt nun einen weiteren Anziehungspunkt „Saturday Night Fever“ – wie cool, möchte ich meinen Kindern gerne einmal zeigen und schauen, wie es bei Junior ankommt! Danke für diese tolle Kooperation, eine fantastische Idee!

    Schönen Abend
    Tanja Praske

  2. […] Museum Frankfurt, Franziska Mucha, Caroline Jansky: “Kultur-Tipp: Retrogames” (19.10.14) // @histmus (Museum, Games, Saturday Night […]

  3. […] #KultTipps in Hamburg. Meine "Zweitwohnung" – Liebeserklärung an das Thalia Gaußstraße Hamburg – bce theater. #KultTipps in Hessen. Mein Kultur-Tipp: Helene Schjerfbeck in der Schirn | museums(t)raum. #KultTipps in Thüringen. Kulturtipp Mutz: Eine Schmöllner Spezialität auf internationalem Parkett | Geschichte & Geschichten. Ein irrer Hauch von Welt – Das Tanz- und Folkfestival Rudolstadt | Hungerherz. #KultTipps in Berlin-Brandenburg. Belvedere auf dem Pfingstberg: Das Dach von Potsdam. Great Women #1: Hannah Höch. Berliner Event-Highlights im Herbst 2014. #KultTipps in Baden-Württemberg. Ein Geheimtipp. | LandLebenBlog – Notizen aus der Provinz. Mein Kultur-Tipp für Euch: Nach Bruchsal! | KJTZ – Das Blog. Great women #2: Lotte Reiniger. „Mein Kultur-Tipp für Euch“: Vorsicht, Lachen ist ansteckend | TECHNOblog. Von Ritter, Bischöfen und der Gegenwart – “Die Meersburg” am Bodensee | Flüstertüte. Kultur-Tipp: Retrogames « Blog des Historischen Museums Frankfurt. […]

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