Im Museum werden wir ja ständig vor der Frage gestellt: was bewahren wir auf, wie und wo lagern wir es? Neben inhaltlichen und konzeptionellen Aspekten gibt es noch etwas anderes zu berücksichtigen: der Stoff, aus dem die Dinge sind. Vor allem, wenn wir es mit organischen oder anderen nicht berechenbaren Materialien zu tun haben, stossen wir an unsere Grenzen.
So haben wir uns vor einiger Zeit einmal entschieden, die Kreisel aus Schokolade, die den Nachlass Binding begleiteten, nicht aufzubewahren. Aus einem anderen Frankfurter Nachlass haben wir Medikamente entfernt und nur die Verpackungen behalten, da wir nicht wissen, wie und ob sich Tabletten irgendwann zersetzen oder mit anderen Stoffen in der Umgebung interagieren. Natürlich haben wir auch sogenannte Care-Pakete in unserem Bestand – also die amerikanischen Dosen mit konservierten Lebensmitteln, über deren Inhalt wir über 70 Jahre später nur spekulieren können – Denn wir öffnen sie vorsichtshalber erst gar nicht.
Umso größer war die Freude, anlässlich einer Tagung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe in der Sammlungsausstellung Baden und Europa ein ganz besonderes Stück bewundern zu können:
In Salzwasser eingelegte Tomaten von 1928, die auch noch schön rot anzusehen und durchaus als Tomaten bzw. als Nahrungsmittel erkennbar waren. Das Einmachglas schaut auf eine lange Erfolgsgeschichte zurück; es wurde schon 1892 patentiert und ist bis heute im Einsatz – sogar mit einem Zuwachs in den letzten Jahren. So ist es also nicht erstaunlich, dass solch ein Glas, das typisch ist für Alltagspraktiken in deutschen Haushalten, auch seinen Platz in einem kulturhistorischem Museum findet. Auch mit Inhalt!
Was ich am Erstaunlichsten finde: warum wurde das Glas nie aufgemacht? Wurde es aufbewahrt, da vielleicht noch schlimmere Zeiten kommen könnten? Wenn man mal zurückschaut, was nach 1928 alles so passiert ist, dann verwundert das doch sehr: ob Weltwirtschaftskrise oder Zweiter Weltkrieg – es gab doch viele Zeiten, in denen es um die Ernährung nicht so üppig bestellt war. Am Tomatenglas gingen all diese Zeiten vorüber, und so sind sie gewissermaßen auch mit bei den Tomaten eingelagert.
Bei den Tomaten muss ich an eine Geschichte aus dem Freundeskreis denken, wo im „Nachlass“ der Mutter eingemachte Marmelade und Konservengläser aus den 50er Jahren schlummerten, die den Keller ziemlich belegten. Das kann man nur noch wegwerfen, wobei vor allem die Frage interessiert, wie teuer die Entsorgung wird.
Einmachen im zeitlichen Abstand hat für mich etwas von Sparen, das aber mit der Inflation auf dem Gebiet der Nahrungsversorgung bei uns heute konfrontiert ist, eigentlich auf der dinglichen Ebene sinnlos. Keiner mag heute noch Wachsbohnensalat aus dem Einmachglas essen.
Gleichzeitig denke ich an die Landesgartenschau in Schwäbisch-Gmünd, wo Regale im Freien mit eingemachtem Obst als visuelle Accessoires in Stahlregalen eine Rolle spielten. Die Blechdeckel der Gläser waren aufgestochen – damit die Gläser nicht platzen. Damit war der Nahrungsaspekt erkennbar im Hintergrund. Wir müssen aber aufpassen, dass die Ästhetik der Nahrung sich nicht verselbständigt und damit zur Provokation für die wird, die diesbezüglich Not erleben.
Ich denke, ein Museumsobjekt hat immer auch die Chance, Mittler und Händler zwischen Geschichte und Gegenwart zu sein, die uns beim Verstehen von uns selbst unterstützen.