und JAN GERCHOW
Tagung am 29./30. September 2014, Antwerpen, im Red Star Line Museum und im MAS (Museum aan de Stroom)
Die gemeinsame Themenstellung zur heutigen „Diversität“ oder „Superdiversity“ (Stephen Vertovec) in Städten und mögliche Strategien von Stadtmuseen im Umgang mit diesem „Gegenüber“ standen im Fokus der Tagung „Urban Diversity and City Museums“. Ein bereits existierendes Netzwerk niederländischer und belgischer Stadtmuseen wurde zu dieser Tagung um deutsche Stadtmuseen erweitert. Zwei halbe Konferenztage – je ein halber Tag im Red Star Line Museum Antwerpen und im MAS – wurden mit einer Keynote eingeleitet und hatten vier kurze 15-minütige Praxisbeispiele von teilnehmenden Museen zum Inhalt. Vervollständigt wurden diese mit einer jeweils einstündigen Diskussion. Einleitend und abschließend wurden in beiden Museen Führungen von den belgischen Kollegen angeboten. Hier ein inhaltlicher Überblick über die Ausstellungen und einen Teil der Vorträge:
Ein Aufbruch voll Hoffnung, Ungeduld und Enge – im Red Star Line Museum Antwerpen lässt sich ein Hauch dieser Aufregung spüren, wenn man durch die Ausstellung über europäische Auswanderer des 19 Jahrhundert wandert. Thematisiert wird hier die Geschichte der ersten amerikanischen Passagierfähre, die zwischen 1873-1934 zwei Millionen Menschen zu einem neuen Leben in Amerika führte. Einleitend wird das Phänomen Migration in einer videoanimierten metallenen Weltkugel inszeniert, die Bilder von frühester Migration bis zu aktuellen Flucht- und Vertreibungsbewegungen zeigt.
Wanderouten und Einzelschicksale werden in der Ausstellung über Briefwechsel auf Touchscreen Stationen erfahrbar. Eine Riechmuschel, die den Geruch von Essig verbreitet, erinnert an die Desinfektionsduschen für Auswanderer und an die hygienischen Vorbereitungen für eine transatlantische Überfahrt auf der Red Line Company. Auch der wirtschaftliche Faktor für die Stadt Antwerpen steht im Fokus. Antwerpen – frühes Migrationszentrum – wies unzähligen Hotels und Bars auf, in denen Migrant*innen wochenlang auf ihre Ausreise warteten.
Die Ausstellung schließt mit einer Multimediastation, auf der zeitgenössischen Porträts und Interviews mit Antwerpenern mit Migrationshintergrund, aufrufen lassen. Konzept ist hierbei ein möglichst umfassendes Spektrum an Alterspannen, Migrationsgründen und Typen aktueller Zuwanderer in Antwerpen erfahrbar zu machen. Die 10 Videos wurden aus 400 Aufnahmebeiträgen ausgewählt.
Keynotes und Vorträge
Die Keynote von Ching Lin Pang (kath. Univ. Leuven) bemühte sich um eine theoretische Ausleuchtung des Feldes, in dem Städte und Museen mit dem Thema Migration und Diversität agieren. Sie beschrieb Städte als Orte, die von Arbeitsstätten zu „places of consumption“ mutiert sind mit Museen, die von „places of learning“ ebenfalls zu „Konsumstätten“ geworden sind „museum visitors become consumers“. Der zweite Vergleich griff James Cliffords Diktum des Museums als „contact zone“auf: ein „third place, where celebration of togetherness happens“.
Jacques Borger, Museum of Rotterdam
Momentan hat das Museum Rotterdam keinen festen Ort, da das alte Stadtmuseum aufgeben wurde, daher spielt das Museum an verschiedenen temporären Locations. Im Jahr 2016 wird es im urbanistischen Projekt hinter dem Stadthuis eine Etage belegen. Das Ziel ist, verschiedene Besuchergruppen anzusprechen und neue kulturelle Angebote zu machen. Vor allem soll eine Gruppe, die „colourful strivers“ genannt werden, gewonnen werden: Rotterdamer, die häufig einen Migrationshintergrund haben, und die Stadt als Erlebnisraum benutzen. Sie kommen nicht selbstständig in Museen, es sei denn, sie finden dort viel Ansprache: ein persönliches Willkommen, Begleitung, Gespräche über die Ausstellung, eine gute Bar oder gutes Essen, Musik und eine Nachbereitung. Sie bringen viel Zeit mit und sind anspruchsvoll in der Betreuung. Borger bezeichnet sie aber als das Publikum der Zukunft. Das Museum muss für sie „useful“ sein („Useum“). Vielleicht müsste sogar der Name geändert werden, weil der Titel Museum zu abschreckend ist (museum = white, rich, academic, old people). Der neue Name soll im Prozess der Neu-Einrichtung gefunden werden.
Sophie Perl, FHXB (Friedrichshein-Kreuzberg-Museum Berlin)
1991 eröffnet, eines von 12 Berliner Bezirksmuseen mit einem kleinen Team von drei Personen. Martin Düspohl, ein Aktiver aus der Geschichtswerkstatt-Bewegung der 1980er Jahre, leitet seit den 1990 das Museum mit den Schwerpunkten Stadtentwicklung, Sozial- und Migrationsgeschichte Berlins sowie Erwachsenenbildung im Museum. Im Jahr 2013 wurde die Ausstellung „Ortsgespräche“ in Zusammenarbeit mit Stadtbewohner/innen Berlins und den Kuratorinnen Frauke Miera und Lorraine Bluche realisiert. Sechs Orte im Bezirk wurden dabei auf ihren Migrationsaspekt untersucht und eine Karte des Bezirks mit Audiobeiträgen generiert, die über 100 Geschichten zu Orten im Bezirk sammelte und präsentiere. Die Ausstellung ist noch bis Ende 2014 zu sehen.
Lieve Willekens und Nadia Babazia , MAS
Das MAS initiierte 2013 ein „Spurensucher“-Projekt (spoortreker) in Kooperation mit Bewohner*innen Antwerpens, im Sinne des key worker Modells. Der Anlass war „40 Jahren Einwanderung“ aus Marokko und der Türkei nach Belgien, im Zuge der Arbeitsmigration. Die „Spurensucher*innen“ untersuchten türkische und marokkanische Spuren in Antwerpen und verarbeiteten diese zu eigenen Installationen und Geschichten z.B. in Form von Interviews, Fotoserien oder Objektinstallationen.
Ein zweites Projekt, das in seiner Umsetzung jedoch auf Schwierigkeiten stieß, war „Home Sweet Home“, welches im Sommer 2014 initiiert wurde. Ziel war eine fotografische und filmische Dokumentation von familiären Heimaturlauben in Marokko, durch die Künstlerin: Nadia Babazia. Bestimmte Familien mit marokkanischem Hintergrund sollten bei ihrer Reise begleitet werden. Das Projekt stieß jedoch nur auf wenig Zustimmung.
Keynote von Joachim Baur
Joachim Baur verwies in seiner Keynote auf die MELA-Publikationen: Placing Migration in European Museums, von 2012. Er berichtete über den Vergleich dreier Immigrations-Museen aus seiner Dissertation: Ellis Island und Melbourne. Er bezeichnete die Museen als Institutionen die, der inklusionistischen Master-Narrative unterstellt sind, die von der Staats-Doktrin gefordert wird: dem nationalen Überbau „methodological nationalism“. Überall spielen die Orte, Grenzen, Schiff-Reisen und der Koffer eine Rolle. Bauer sprach von einer Cornucopia (Füllhorn)-Inszenierung: viele bunte Dinge, die mitgebracht wurden, werden nebeneinander ausgestellt und ergeben ein folkloristisches Bild einer Migrationsgesellschaft, einer „boutique multiculturalism“. Diese Museen schreiben somit ein Plädoyer für den Koffer als „Super-Semiophore“ (K. Pomian), als Gefäß für Erinnerungen und Bedeutungen. Baur verweist anschließend auf Hinweis auf verschiedene europäische Projekte zu Migration: etwa auf Migropolis Untersuchung von Venedig als Ort der Migration) oder die Route der Migration.
Jozefien De Bock, STAM Ghent
„Sticking Around. 50 years of migration to Ghent“ Die Ausstellung untersuchte verschiedene Orte in der Stadt, die von Migrationsgeschichte geprägt sind. 35 Orte (Cafés, Läden Plätze etc.) wurden durch Plakate oder Litfaßsäulen als Migrationsorte gekennzeichnet. Dort wurden Geschichten von Einwanderern erzählt, die teilweise auch auf einer APP hörbar waren. Ein mehrsprachiger Blog zum Projekt machte die existiert noch, wurde dort jedoch kaum aufgerufen.
Annemarie de Wildt, Amsterdam Museum
Bei der Kabra Maske aus Surinam handelt es sich um ein Sammlungsobjekt, das im Rahmen der Ausstellungen zur Abschaffung der Sklaverei vor 200 Jahren ausgestellt wurde. Die Ausstellung umschrieb die dunkle Seite des „Goldenen Zeitalters“ von Amsterdam. Mit einer Nachbildung der Maske wurde in Kooperation mit einer Winti-Priesterin eine „Keti Koti“ („zerbrochene Kette“) Zeremonie inszeniert, die an die Abschaffung der Sklaverei in Surinam erinnerte. Zu der Zeremonie erschien sogar das Königspaar von Surinam. Die Maske wurde somit wieder in den aktuellen Winti-Kult eingeführt, da unter der Kolonialherrschaft der Niederländer die Benutzung dieser Objekte verboten war. Diese Kopie der Maske soll nun durch das Amsterdam Museum angekauft werden, um einerseits einen Platz in der Ausstellung zu erhalten, aber auch um wieder ausgeliehen werden zu können. Diesen Akt des postkolonialen Gedenkens wird von der Kuratorin Annemarie de Wildt als „cultural healing“ bezeichnet.
Ausstellung im MAS
Die Ausstellung „In Antwerpen. 50 Jahre Migration aus Marokko und der Türkei“ beleuchtet anhand von Gegenständen (Liebesbriefen, Familienfotografien, alten Filmen) persönliche Geschichten über Arbeitsmigration und von einem neuen Leben in der Wahlheimat. Das Thema ist aus der Sicht von Bewohner*innen Antwerpens mit türkischem oder marokkanischem Migrationshintergrund dargestellt. Die Geschichten handeln von der Arbeit beim Glashersteller Verlipack, von Liebe, Trennungsschmerz und einer transkulturellen zweiten Generation. Zu sehen sind auch begehrte Mitbringsel – die bei jedem Heimatbesuch importiert oder exportiert werden. Alle ausgestellten Objekte wurden von Antwerpener Spurensucher*innen gesammelt und von Einzelpersonen an das Museum verliehen. Das Ziel der Ausstellung ist es, den kulturellen Zuwachs in Antwerpen, durch die Diversität der Stadtbevölkerung aufzuzeigen. Die Ausstellung konnte in Kooperation mit migrantischen Communities realisiert werden und erhielt folglich einen hohen Zulauf von Rezipient*innen mit Migrationshintergrund.
Die zweite Ausstellung „Heilige Stätten, Heilige Bücher. Rom, Mekka und Jerusalem in Antwerpen“ thematisiert die Bedeutung heiliger Orte und heiliger Schriften für Gläubiger der drei größten Weltreligionen. Die Ausstellungsbesucher*innen werden eingeladen, über eine Karte sowie persönlichen Pilgergeschichten, den Pfaden zu heiligen Stätten des Islams, des Christentums und des Judentums zu folgen. Religiöse und kunsthistorische Exponate (Manuskripten, historischen Karten, Gemälde, Teppiche, Surensteine) verdeutlichen die jahrhundertealte Tradition und Intensität religiöser Suche. In Zusammenarbeit mit Antwerpener Initiativen und Bürger*innen, die ihre persönlichen Kontakte und Einflüsse spielen ließen, konnte die Ausstellung realisiert werden. Das erfolgreiche Konzept der Ausstellung ist es, die Gemeinsamkeiten und die Verbundenheit der Religionen aufzuzeigen und somit religiöse Konkurrenzen zu vermeiden. Die wertvollen Exponate besitzen teilweise selbst „heiligen“ Wert und schaffen durch die ebenbürtige Inszenierung eine besondere Atmosphäre.
Zum Schluss
Geplant ist, dass sich das Netzwerk alle zwei Jahre zu einem neuen Austausch wiedertrifft. Für 2016 wurde von Seiten der belgischen Museen das Historische Museum Frankfurt als Tagungsort vorgeschlagen, was noch zur Diskussion steht. Themen könnten möglicherweise “contact zone – conflict zone: new roles of museums” und die Untersuchung der Sammlungen sein (collections, inside/outside).
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