Sammeln + Pflegen

571 Tüten – der erste Teil

von Robert Stögbauer

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde und kurze Zeit später Adam und Eva. Wie diese ihre Einkäufe, insbesondere die Äpfel, nach Hause trugen, verrät die Bibel nicht, mit Sicherheit aber nicht in Plastiktüten. Es dauerte bis in die 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, bis die amerikanische Hausfrau Polly E. Thylen und dem Slogan „Plastik statt Papier“ das Heimtragen von Einkäufen revolutionierte. Und weitere zwei Jahrzehnte dauerte es, bis die Performance-Künstlerin Elke Koska ihre Plastiktüten-Show in der Kunsthalle Düsseldorf zeigte.

Auf einer weissen Plastiktüte ist ein gemaltes Bild von einer Frau untergebracht. darauf steht: Elke Koska's Palstiktüten Show
historisches museum frankfurt : Tüte zur Plastiktüten-Show von Elke Koska, Foto: R. Stögbauer

Ich arbeitete (und lebte) damals in Düsseldorf und war begeistert: An einer Vielzahl von Wäscheleinen hingen knapp 1.000 der unterschiedlichsten Plastiktüten als Kunstobjekte im großen Ausstellungssaal. Meine Freunde sammelten Briefmarken oder Münzen, mein Vater hatte Zigarettenbildchen (zur Olympia 1952 oder zu Karl May-Geschichten) gesammelt, ich würde Plastiktüten sammeln!

Damals bekam man ja anstands- und gedankenlos bei jedem Einkauf gratis eine Plastiktüte und bei den großen Messen, wie z.B. der Drupa in Düsseldorf oder der IAA in Frankfurt, konnte man an jedem Stand mehrere verschiedene bunte Tragetaschen mitnehmen. So wuchs meine Sammlung täglich und meine Freunde (damals waren auch die Freundinnen mit dem Maskulinum mit gemeint) trugen fleißig zum Wachstum der Sammlung bei. Und wer hatte nicht in der Abstellkammer oder unter Spüle einen kleinen Vorrat an zusammengeknäulten Tüten, in denen entweder der Küchenabfall in die Tonne transportiert wurde oder eben weitere Einkäufe getätigt wurden. Und viele waren bereit, mit diesen Tüten meine Sammlung zu erweitern. Ich tapezierte meinen Flur mit den jeweils neuesten Tüten und besondere Meilensteine in der Sammlung wurden entsprechend zelebriert. Ein Arbeitskollege steuerte die 100. Tüte bei, mit einem Huhn als Motiv, und erhielt dafür von mir für einige Wochen jeden Werktag ein Frühstücksei.

auf einer gelben Tüte ist eine große Brezel abgebildet, darunter ein weißes Huhn, das daran pickt. Daneben steht: Roberts Spezialtüte
historisches museum frankfurt: Tüte mit einem „Hinkel“ (Huhn), Foto: R. Stögbauer

Für die 500. Tüte gab es sogar eine Schiffsreise! Ein schwedischer Freund hatte sie mir aus seiner Heimat mitgebracht und durfte dafür zusammen mit seiner Frau auf einem Schiff vom Eisernen Steg zur Gerbermühle fahren. Und natürlich auch wieder zurück.

Anlässlich der 1.000sten Tüte wurde meine Wohnung in der Bagelstrasse in Düsseldorf kurzzeitig zum „Plastiktüten-Museum“ umfunktioniert und mit einer Party angemessen gefeiert. Elke Koska hätte ihre Freude an den Feierlichkeiten und der Weiterentwicklung ihrer „Konsumkritik“ gehabt.

Auf einer weißen Plastiktüte steht in Druckschrift mit einem Filzstift geschrieben:Es ist geschafft! 1000 Plastiktüten Deshalb: am 23. Okt. 1982 "Grosse Plastiktüten-Party" in R. Stoegbauers Plastiktütenmuseum, Bagelstr. 85
historisches museum frankfurt: 1000 Tüten und Einladung zur Party, Foto: R. Stoegbauer

Und das war nur etwa ein halbes Jahr nach dem Start der Sammlung! Ein guter Freund führte anlässlich seines Geburtstags die Wahl der „Plastiktüte des Tages“ und seine Gäste bestätigten durch Unterschrift auf der gewählten Tüte das Ergebnis. Sogar als Geburtstagsgeschenk bzw. Glückwunschkarte verwendeten Freunde und Verwandte eine Plastiktüte.

Schon kurze Zeit nach der Eröffnung meines „Plastiktüten-Museums“ in Düsseldorf versetzte mich mein Arbeitgeber nach Frankfurt und so ist es nicht verwunderlich, dass eine Vielzahl von Tüten in meiner nach wie vor wachsenden Sammlung aus Frankfurter Geschäften bzw. von Frankfurter Institutionen stammen. Die Zeil rauf und runter, auch die Goethestrasse, die Kleinmarkthalle sowie Palmengarten, Oper, Bundesgartenschau, Schirn, CDU und DKP, VHS, Ebbelwoi-Express, Schweizer Straße, Dippemess, Turnfest, und viele, viele Tüten mehr wanderten in meine Sammlung. Und manche Erinnerung wird wieder wach, wenn ich heute eine Plastiktüte von Neckermann oder Ammerschläger betrachte.

Nach der insgesamt 5.000sten Tüte habe ich aufgehört zu zählen und mein Hobby ist inzwischen etwas in den Hintergrund geraten. Umso froher bin ich, dass das Historische Museum im Sommer 2023 den „Frankfurter Teil“ meiner Plastiktüten in seinen Sammlungsbestand übernommen hat. In meiner Heimatstadt Kelkheim sind übrigens für nächstes Jahr zwei Ausstellungen von Plastiktüten geplant: Die Stadt wird Tüten zeigen von Kelkheimer Unternehmen und Geschäften, der Künstlerkreis Kelkheim wird eine Ausstellung den künstlerisch schönsten Tüten der letzten vier Jahrzehnte widmen. Ich freue mich darauf.

Spoiler: Teil 2 wird sich mit der konservatorischen Seite der Plastiktüten beschäftigen.

1 Kommentar zu “571 Tüten – der erste Teil

  1. Als Ausstellungskuratorin des Künstlerkreis Kelkheim neue ich mich sehr dass Robert Stögbauer uns den größten Teil seiner Sammlung zur freien künstlerischen Gestaltung so vertrauensvoll überlassen hat. Eine kleine Gruppe unserer Künstler*innen hat ein Ausstellungsteam gebildet und arbeitet seit November 2023 am Konzept und der Umsetzung einer Ausstellung, die im September / Oktober 2024 in unserem Ausstellungsraum (KunsTraum44) im Zentrum Kelkheims präsentiert wird.

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