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„Den freien Verkehr auf den Trottoirs betreffend“

von Hannah Olbrich

Aktenberge mit zerbröselnden Dokumenten, altehrwürdige Gebäude und verblasste Fotos. Damit habe ich mich in den sechs Wochen meines Praktikums beschäftigt. Recherchen in der Sammlung des Museums und dem Institut für Stadtgeschichte standen auf dem Programm, um für die geplante Ausstellung „Bewegung! Frankfurt und die Mobilität“ (Nov. 2024) umfangreiches Material zu sichten.

Doch wonach habe ich dort eigentlich gesucht? Kurz: Nach dem Verkehrschaos des 19. Jahrhunderts. Denn das Verkehrsaufkommen in Frankfurt wuchs beständig. Pferdeomnibusse brachten immer mehr Reisende von den ab 1840 am Stadtrand gebauten Bahnhöfen in die Innenstadt, 1859 verband eine Bahn am Mainufer die Bahnhöfe im Osten und Westen der Stadt miteinander und ab 1872 gesellte sich auch die erste Pferdebahn, Vorläuferin der heutigen Straßenbahnen, zu den Fuhrwerken der Stadt.

Die Straßen waren voll und Fußgänger*innen mussten gehörig aufpassen, um sicher von A nach B zu gelangen. Dazu dienten ihnen die Bürgersteige, oder wie meine Frankfurter Oma gesagt hätte: Troddwaars. Und so fanden genaue Regelungen, was auf Trottoirs erlaubt ist, Einzug in die Straßenpolizeiverordnung 1872.

„[…] es ist daher verboten, auf denselben zu reiten, mit Wagen, Karren oder Schlitten jeder Art oder Velocipeden [Fahrrädern] zu fahren, Zugthiere oder Schlachtvieh zu führen oder zu treiben, den Verkehr durch Stehenbleiben oder durch gewerbliche Verrichtungen zu hemmen und Gegenstände, welche durch Form, Größe oder Beschaffenheit die Vorübergehenden zu beschädigen, zu belästigen oder zu beschmutzen geeignet sind, zu befördern.“ (Straßenpolizeiverordnung Frankfurt 1872, ISG A.02.01 R-1618-1)

Und was, wenn man sich nicht daran hielt und durch einen Plausch mit den Nachbar*innen das Trottoir blockierte? Nun, dann drohte eine Geldstrafe, oder bis zu drei Tage Haft. Ganz schön drastisch als Strafe für eine nette Unterhaltung. Aber natürlich ist nicht klar, wie rigoros und ob diese Regelungen überhaupt durchgesetzt wurden. Doch dass Verordnungen dieser Art nicht folgenlos blieben, zeigt sich in den Updates, die die Regelung zum Begießen des Trottoirs seit 1872 immer wieder erhielt. Begießen, habe ich mich gefragt, warum sollte man das Trottoir vor der eigenen Tür begießen? Und warum hielt die Polizei dies für so wichtig, dass sie mehrere Male ihre Verordnung anpasste, um Schlupflöcher und Unklarheiten auszubessern? Die Erklärung dafür: Mit dem dichten Verkehr auf den Straßen kam auch der Staub. Was in Großstädten heute der Smog ist, war im späten 19. Jahrhundert der Staub. Darum wurden Straßen mit Wasser begossen, um den Staub zu binden, damit dieser nicht überall in der Luft wirbelte. Die ersten Regelungen ließen noch Raum für unterschiedliche Auslegungen. Denn wann ist denn nun ein heißer Tag, an dem ich das Trottoir begießen muss? Darum wurde immer wieder nachgebessert, bis man schließlich folgende Regelung erließ:

„Bei trockener Witterung, namentlich alsdann, wenn Seitens der Stadt die Straßendämme begossen werden, sind die Trottoirs zweimal täglich, Morgens zwischen 7 und 8 und Abends zwischen 6 und 7 gehörig mit Wasser zu begießen.“ (Straßenpolizeiverordnung Frankfurt ab 1883, ISG A.02.01, R1618 Bd. 2)

In der Theorie war die Regelung damit wasserdicht. Doch in der Realität waren die Straßen wohl kaum stets sauber und wohl geordnet. Auch heute noch bringt die Rush Hour den geregelten Verkehr in der Stadt zum Erliegen; trotz StVO, Ampeln, Blitzern und vielen anderen Maßnahmen. Im 19. Jahrhundert lag es vor allem an der Präsenz von Polizisten, ob Verkehrsregeln eingehalten wurden. Und die Polizei schien in vielen Punkten an ihre Grenzen zu stoßen. Polizisten rannten vergeblich Fahrrädern hinterher, die trotz Fahrverbot in der Innenstadt unterwegs waren, gesperrte Straßen wurden weiter benutzt und mangelnde Beleuchtung machte das Patrouillieren bei Nacht in den Promenaden unmöglich. Man sollte sich die so klaren Regelungen für die Trottoirs demnach in der Praxis deutlich aufgeweichter vorstellen, so wie es mit Verkehrsregeln auch heute noch geschieht, wenn sich beispielsweise Fahrradfahrende, oft in Ermangelung sicherer Alternativen zu den vielbefahrenen Straßen, zwischen Fußgänger*innen durchschlängeln.

Das illustrierte Frankfurt. Satirische Bilderfolge zum Thema Trottoirs in Frankfurt. Die Bilderfolge zeigt ein nicht-begehbaren Gehweg, sowie Probleme mit der Luftverschmutzung durch Staub und Geruch.
Institut für Stadtgeschichte: Das illustrierte Frankfurt

Doch unabhängig davon, wie streng genau die Regeln eingehalten wurden, wurde den Fußgänger*innen ein Platz im Verkehr der Stadt zugestanden, der es ermöglichen sollte, dass sie sich gefahrlos und frei durch die Stadt bewegen konnten.

 

 

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